Der E-Commerce stellt den Einzelhandel auf den Kopf.
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Wien. "Der Einzelhandel ist vom unaufhaltsamen E-Commerce-Wachstum weiter stark beeindruckt und verharrt in einer Habt-Acht-Stellung, um nicht zu sagen in einer Angst-Starre", bringt Trendforscherin Janine Seitz die Misere auf den Punkt. Die Folge: "Es macht sich Resignation breit: Kunden kommen nur noch zum Schauen, kaufen aber dann online, weil es dort billiger ist."
Tatsächlich informieren sich gut ein Drittel der Deutschen und 29 Prozent der Österreicher im Internet, bevor sie einen Kauf tätigen. Jedoch: "Zwischen dem Schreckgespenst Showrooming und der Handelsrealität tun sich jede Menge neue Chancen auf", versprüht Seitz vom Frankfurter Zukunftsinstitut Optimismus. In ihrer Studie "Sales Trends", die sie gemeinsam mit ihren Kollegen Andreas Haderlein und Adeline Seidel verfasst hat, identifizieren die Zukunftsforscher aus dem Think-Tank von Matthias Horx jene "Driving Forces", die den Handel künftig prägen werden.
Retail Rebooted heißt einer dieser Trends. "Damit ist der innovative Blick über den Tellerrand des eigenen Sortiments und des angestammten Betätigungsfeldes gemeint", erklärt Haderlein. Wer die Zeichen der Zeit erkannt hat, der investiert zum Beispiel in sein Employer-Branding. Konzerne wie Rewe oder dm Drogeriemarkt machen es vor, und dürfen sich regelmäßig über Auszeichnungen als Top-Arbeitgeber freuen.
Auf der Suche nach Lifestyle-Produkten
Die Neo-Schnäppchenjäger: Damit sind jene gemeint, die auf der Suche nach Qualitäts-Produkten und Dienstleistungen sind, die zu ihrem Lifestyle passen. Die Suche nach günstigen Preisen wird heute vor allem durch die Vernetzung der Konsumenten begünstigt. Zugleich entwickeln sich die Outlet-Center entlang wichtiger Verkehrsadern zu den neuen Shopping-Tempeln. Plus: Markenshops werden immer beliebter, weil man Produkte dort ohne Zwischenhändler günstiger anbieten kann.
Die Transparenz-Märkte: In Zeiten von Lebensmittelskandalen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Textilbranche wird Transparenz eine der wichtigen Qualitätsstrategien im Handel. Wer Kunden umfassend informiert, woher ein Produkt kommt und unter welchen Bedingungen es produziert wird, der hat im Wettbewerb klar die Nase vorn.
Die Second-Sale-Kultur: Auch der Trend zum Wiederverkauf von Produkten kann eine Chance für den Handel sein. Teilen, Nutzen und Wieder-in-den-Verkehr-bringen prägen das neue Konsumieren. "Hier vermengen sich die Wiederverkaufspraktiken der Ebay-Generation mit dem ökosozialen Bewusstsein vieler Konsumenten, die nicht vollends in der Wegwerfgesellschaft aufgehen wollen", meint Seitz.
Morgens ein Café, mittags eine Modeboutique
Community Retail: Sogenannte "Social Shopping-Communities" - Stichwort Home-Shopping-Partys - ermöglichen Herstellern den direkten Verkauf, ohne selbst einen Shop betreiben oder einen Händler zwischenschalten zu müssen. Das Social-Selling-Prinzip funktioniert besonders gut bei Lifestyle-Produkten, Schmuck, Accessoires und Mode. Ein weiterer Trend ist das User-Store-Sharing, also die gemeinsame Anmietung und Nutzung von Geschäftslokalen. Morgens ein Café, mittags eine Modeboutique und abends ein Tanzschuppen? Warum nicht! "Mobile Einrichtungsmodule und versenkbare Möbel machen diese schnelle Verwandlung möglich", glauben die Experten.
Vom Point of Sale zum Point of View: Verkaufsflächen werden dabei zur Bühne der perfekten Produktinszenierung. Denn: Womit sich der Online-Handel noch immer schwer tut, ist die Emotionalisierung des Kunden durch ein besonderes Kauferlebnis.
"Gerade in dieser Lücke setzt die Entwicklung zum Point of View ein", ist Adeline Seidel überzeugt. "Dabei steht nicht mehr der Verkauf der Produkte im Vordergrund, sondern der Wunsch, dem Kunden ein einmaliges physisches und emotionales Erlebnis zu bieten."