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Schöne neue Trump-Welt

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Für viele US-Bürger zeitigt Donald Trumps Wahl bereits jetzt Auswirkungen, die tief in das Privatleben hineinreichen.


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Los Angeles/Washington D.C. So unwirklich es heute scheint: Es ist tatsächlich erst paar Wochen her, als die Welt aus den Angeln gehoben wurde. Am Tag danach war die neunjährige Stieftochter weinend von der Schule nach Hause gekommen. Auf die Frage, was passiert sei, hatte sie mit einer Kombination aus einem nicht altersgerechten Schimpfwort und dem Namen des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika geantwortet.

Nachdem ihre Erklärung beim ersten Anlauf keinen Sinn ergeben hatte, erstmal einen Tee und am Küchentisch Platz nehmen und in Ruhe erzählen. Unter leisem Schluchzen und nach mehrmaligem Nachfragen schält sich langsam ein Bild heraus. Der Vater einer ihrer besten Schulfreundinnen: plötzlich weg, verschwunden, von heute auf morgen. Er habe seine Tochter und ihre Schwester mitten in der Nacht aufgeweckt, sie umarmt und geküsst und sich verabschiedet; er müsse zurück, nach Mexiko, habe er gesagt und nein, er wüsste noch nicht, wann sie sich wiedersehen würden.

Weinen ohne Ende

Am Morgen des Mittwoch, des 9. November 2016, habe die Mutter wie jeden Tag das Frühstück gemacht und sie zur Schule gebracht. Auf ihre Frage, wann der Vater zurückkommen werde, habe sie zu weinen begonnen und nicht mehr aufgehört, bis sie am Schultor angekommen waren. Obwohl ihr ihre Mutter offenbar eingetrichtert hatte, still zu halten, hatte sie während des Unterrichts zu weinen begonnen. Von der Lehrerin nach dem Grund gefragt, warum das sonst so aufgeweckte Mädchen plötzlich so traurig sei, berichtete sie von dem, was letzte Nacht geschehen war. Am Ende ihrer Erzählung hatte die ganze Klasse geweint. "Donald Trump ist ein böser, böser Mann", sagt meine Stieftochter. Nachdem ich ihr unumwunden beigepflichtet hatte, hatte sie plötzlich ein ernstes Gesicht aufgesetzt und gefragt: "Musst du jetzt auch weg? Du bist doch auch ein Immigrant." Ich lache und schüttle den Kopf. "Nein, Sweetie. Ich habe eine Green Card. Das heißt, dass ich legal hier bin, mit der Erlaubnis der Regierung. Selbst ein Donald Trump kann mich nicht rausschmeißen. Naja, noch nicht. Aber es gibt nichts, wovor wir uns fürchten müssen. Weißt du, Leute wie er wollen vor allem anderen, dass man sich vor ihnen fürchtet. Aber er gewinnt nur, wenn man das tut."

Was prinzipiell stimmt. Aber nicht ganz. Die Wahl des offen rassistischen, sexistischen und xenophoben Kandidaten Trump - für den unter anderem die American Nazi Party und der Ku-Klux-Klan offizielle Wahlempfehlungen aussprachen - setzt die Regentschaft von Barack Obama in einen historischen Kontext, den viele Bürgerinnen und Bürger angesichts des in den vergangenen acht Jahren gepflegten Stils und des allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts nicht sahen, sehen wollten; entlarvt sie offenbar als historische Anomalie, möglich gemacht nur durch die extremsten aller Rahmenbedingungen, namentlich die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 und ihre bis heute andauernden Folgen.

Mit Stand heute erhielt Hillary Clinton landesweit rund 2,5 Millionen mehr Stimmen als Trump - was der diese Woche zum Anlass nahm, ihr und ihrer Partei "millionenfachen Wahlbetrug" zu unterstellen. Wie gewohnt ohne jegliche faktische Grundlage. Wie schwer sich die Mehrheit der Repräsentanten der amerikanischen Medien seit dem Wahlgang des 8. November mit der neuen Realität tut, lässt sich jeden Tag an ihren Gesichtern und ihrer Rhetorik ablesen. Ob in Print oder in den elektronischen Medien: Da wird bis auf ganz wenige Ausnahmen aus unerfindlichen Gründen alles Menschenmögliche getan, um um jeden Preis das Wort "Lüge" zu vermeiden, und kommen nämliche noch so dreist wie zahllos daher. Zu dem Preis, dass der politische Diskurs mittlerweile auf ein Niveau gesunken ist, das nach allen Maßstäben des auch nur halbwegs gesunden Hausverstands jeglicher Beschreibung spottet. In welchem Ausmaß die Herren der veröffentlichten Meinung im "Post-Truth"-Zeitalter mittlerweile die Kontrolle verloren haben - beziehungsweise glauben, sie verloren zu haben, was die Sache nur noch schlimmer macht -, manifestiert sich tagtäglich aber vor allem in den sozialen Medien. Der nicht allein, aber maßgeblich von Facebook möglich gemachte Paradigmenwechsel, einer Politik der Ignoranz, die allen Varianten von de facto neofaschistischer Online-Propaganda Tür und Tor öffnet, hat längst in jeden einzelnen amerikanischen Haushalt Einzug gefunden.

Algorithmus macht´s möglich

Meine ältere Stieftochter, 19 Jahre alt und damit ein Kind des Internetzeitalters, kann ein Lied davon singen. Welche Geschichten ihr Facebook zwei Wochen nach der Wahl zur Lektüre vorschlägt, belegt das ganze Ausmaß des Irrsinns. Story eins: Barack und Michelle Obama stehen angeblich kurz vor der Scheidung, weil sie ihm gestanden habe, dass sie Trump ihre Stimme gegeben habe. Story zwei: Hillary Clinton hat jahrelang persönlich dafür gesorgt, dass die Terrororganisation Islamischer Staat mit Waffen aus den USA versorgt werde. Story drei: Der Cornflakes-Hersteller Kellogg’s sei ein "linksradikales, anti-weißes Unternehmen", das "Rassenhass" verbreite und deshalb boykottiert werden müsse. (Das Unternehmen hatte sich geweigert, auf der rassistischen Website Breitbart Anzeigen zu schalten. Steve Bannon, der neue Chefstratege Trumps im Weißen Haus, war bis zu seinem Engagement als Wahlkampfmanagers des New Yorker Ex-Reality-TV-Stars der CEO von Breitbart.)

Der Algorithmus macht’s möglich: Allen drei Meldungen werden von Facebook das gleiche Gewicht wie Geschichten der "New York Times", der "Washington Post" oder einem der großen Fernsehsender ABC, NBC oder CBS eingeräumt. Für die Betreiber dieser sogenannten "Fake News"-Websites ein hochprofitables Geschäft.

Mit von hinten bis vorne erlogenem Schwachsinn wie diesem, mit dem täglich Millionen Gehirne vorwiegend junger Menschen manipuliert werden, werden mittlerweile - dank gänzlich schmerzbefreiter Werbekunden - Millionenumsätze erzielt.

Wie leicht das vonstatten geht, erzählt weniger über den Einfluss von 20 Jahren systematischer Gehirnwäsche a la Fox News und seiner rechtsradikalen Online-Spinoffs als über das amerikanische Bildungssystem.

Meine Stieftochter, die gerade erst mit dem College begonnen hat, belegt seit Anfang Herbst eine Klasse für englische Literatur. Als wir uns über die Gefahr falscher Nachrichten unterhalten, erzählt sie, dass sie dort neulich einen klassischen Text von Martin Luther King gelesen haben, den "Brief aus dem Gefängnis von Birmingham" aus dem Jahr 1963. Bei der anschließenden Diskussion darüber hatte sich unter anderem herausgestellt, dass die Hälfte der Klasse bis zu diesem Zeitpunkt noch nie das Wort "Lynchen" gehört hatte.

Was ziemlich punktgenau meiner eigenen College-Erfahrung entspricht: Allein mir sind in ein paar Monaten dutzende Teenager über den Weg gelaufen, die kaum einen geraden Satz schreiben können, aber restlos davon überzeugt sind, dass Hillary Clinton wahlweise Mitglied der Mafia, der Freimaurer, mindestens aber Teil der großen jüdischen Weltverschwörung sei. Vordergründig überraschend: Es sind bei weitem nicht mehr nur weiße Studenten, die derlei Weltverschwörungstheorien anheim fallen. Das betreffende College steht nicht in einem Getto, sondern im kalifornischen Pasadena, mit einem Durchschnittseinkommen von rund 113.000 Dollar im Jahr einer der reichsten Städte Amerikas. CalTech, eine der exklusivsten, renommiertesten Privatuniversitäten der Welt (und Schauplatz der weltweit populären Fernsehserie "Big Bang Theory") liegt buchstäblich um die Ecke. Nicht, dass sich nicht da wie dort Zeichen der Empathie und der Hoffnung zeigen würden. Das jahrzehntelang für die rassistischen Ausfälle seiner Mitglieder berühmt-berüchtigte Los Angeles Police Department (LAPD) machte den Anfang, als sein Commissioner Charlie Beck erklärte, dass seine Leute der neuen Bundesregierung beim Aufspüren und Deportieren illegaler Einwanderer definitiv nicht helfen würde.

Zeichen an der Wand

Im neuen amerikanischen Alltag schlagen sich derlei Schutzversicherungen indes kaum nieder. Von den unmittelbar die eigene Familie betreffenden Geschichten abgesehen, sind die Zeichen der Zeit für jeden sichtbar, der ein funktionierendes Paar Augen und Ohren hat. Der jahrzehntelang abstinente Hausmeister aus Acapulco, der in der Wahlnacht wieder zu trinken begonnen und seitdem nicht mehr damit aufgehört hat. Der Freund, Sohn guatemaltekischer Einwanderer, der gerade erst auf eine der besten Kunsthochschulen der Welt aufgenommen wurde und trotz Stipendium überlegt hinzuschmeißen, weil ihm die Wahl Trumps gezeigt habe, "wie die Weißen wirklich darüber denken, wo ich und meinesgleichen hingehören". Die muslimische Kommilitonin mit Wurzeln am Horn von Afrika, deren Eltern ihr aus Angst vor Übergriffen verboten haben, den Hijab zu tragen. Der beste Freund aus New York, ein Jude, der einen um zwei Uhr morgens tränenerfüllt anruft, weil er nicht mehr weiß, wie das Ganze enden wird. Das alles, während der neue Präsident, ein - faktisch tausendfach belegt - notorischer Lügner, bekennender Grapscher und mehrfach rechtskräftig für seine dubiosen Geschäfte verurteilter Betrüger unabhängige Journalisten beschimpft, ohne jeden Beweis millionenfachen Wahlbetrug unterstellt und Gefängnisstrafen und den Entzug der Staatsbürgerschaft für Bürger fordert, die die Flagge verbrennen (eine wenig elegante, aber in der Vergangenheit vom Höchstgericht ausdrücklich erlaubte Praxis).

Am 20. Februar 2017 wird Donald John Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika angelobt.