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In der CSSR gab es nur wenige Möglichkeiten, einen Kredit zu bekommen - es war auch nicht viel Konsumierbares in den Regalen. In den letzten Jahren hat sich das signifikant geändert. Schulden machen ist jetzt angesagt.
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Nach der Wende von 1989 waren die Tschechen dem Sprichwort "Keine Kolatsche ohne Arbeit" noch etwa zehn Jahre treu. Erst jetzt hat man einen neuen Aspekt des Konsumlebens entdeckt: Der Kredit liegt voll im Trend, die Tendenz ist steigend und das Wachstumstempo erschreckend. Jedes Jahr gibt es bei Krediten eine fast 20-prozentige Steigerung und die Summe des von den Verbrauchern ausgeliehenen Geldes in Tschechien beträgt inzwischen 100 Milliarden Euro. Das sind 660 Euro pro Kopf und Nase, bei einem Durchschnittseinkommen von 560 Euro pro Monat.
"Zuerst kaufen und dann zahlen ist eine Sache, die man schnell lernen kann. Ebenso wie das Essen bei McDonald´s oder KFC", sagt Tomás Chlíbec, Handelsdirektor der Kreditgesellschaft Cetelem. Auch die Firma Home Credit freut sich über die aktuelle Entwicklung. Die Kunden haben sich hier im vorigen Jahr 180 Mio. Euro ausgeliehen, das ist ein Zuwachs von 40 Prozent. "Wir sehen aber auch eine Gefahr", sagt der Hauptanalytiker der Kreditgesellschaft Pavel Sovícek. "Immer mehr Kreditnehmer bedeutet eine Zunahme der Überschuldung."
Weg in die Armut
Einen Kredit zu bekommen ist relativ einfach. Die steigende Nachfrage hat bei den Geldinstituten einen harten Wettbewerb ausgelöst, die Zinsen sind entsprechend niedrig. Der Verbrauch der Tschechen wächst, die Produktion steigt und alle - so scheint es - sind zufrieden. Problematisch wird es bei Zahlungsunfähigkeit. Zuerst kommt es zu einer schlichten Korrespondenz mit der Bank, dann kommen die Eintreibergesellschaften: "Zuerst haben wir einen Mittelklassewagen für unsere Familie geleast. Dann haben wir noch einen Kredit aufgenommen, um unser Haus nach der Überschwemmung renovieren zu können", sagt die Grafikerin Klara (35). "Die Probleme kamen, als mein Mann, ein Ingenieur, seine Arbeit verlor. Seine Firma hat die Produktion nach Weißrussland wegen niedrigerer Lohnkosten verlagert. Wir konnten die Raten nicht zahlen und versuchten, das Geld für die Bank woanders zu bekommen." So begann für die Familie der Weg aus dem Mittelstand in die Armut.
Jana Soucká, die Sprecherin der Kreditgesellschaft Cetelem, gliedert die Schuldner in drei Gruppen: "Die erste Gruppe sind Personen, die krank werden, den Job verlieren und nicht zahlen können. Die zweite Gruppe sind Menschen, die wie Kinder denken. Sie wollen einen Plasmabildschirmfernseher für die Fußballweltmeisterschaft für 2. 000 Euro und machen sich keine Gedanken, dass sie 250 Euro netto pro Monat verdienen. Die dritte Gruppe der Nichtzahler sind Betrüger, die einen Kredit nehmen, ohne zahlen zu wollen."
Bisher haben erst 6 Prozent der Haushalte in Tschechien Probleme mit Kredit-Rückzahlungen. Im "alten Europa" liegt der Durchschnitt bei 12. Dennoch hat sich in drei Jahren die Verschuldungsrate verdoppelt. "Das birgt Risiken für die Banken ebenso wie für das Sozialnetz", warnt die Tschechische Zentralbank.