Im Mai finden im Vereinigten Königreich allgemeine Wahlen statt - ein Sieger steht jetzt schon fest.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
London/Edinburgh. Es gibt den Pyrrhussieg, jenen fatalen Erfolg, der auf den König von Epirus zurückgeht und mehr kostet, als er eigentlich bringt. Stellt man sich das Gegenteil vor, landet man derzeit in Schottland. Das Referendum zur Unabhängigkeit des Nordens der britischen Insel endete für die Schottische Nationalpartei (SNP) vergangenen September in einer klaren Niederlage. Doch dafür könnte sie nach den britischen Parlamentswahlen im Mai künftig die Geschicke des gesamten Vereinigten Königreichs lenken.
Schottland ist im 650 Sitze fassenden britschen Unterhaus mit 59 Abgeordneten vertreten. Seit Monaten zeigen die Umfragen, dass die SNP von diesen Sitzen 55, wenn nicht gar alle, einheimsen wird. Das würde die Nationalisten zur drittstärksten Fraktion im ganzen Königreich machen. Ein fulminanter Aufstieg, denn noch bei den letzten Wahlen 2010 gingen 41 an die Labour Partei, immerhin noch 11 an die Liberaldemokraten, aber nur 6 an die SNP; die Tories waren mit nur einem Mandat ohnedies auf verlorenem Posten.
Nun könnten die schottischen Nationalisten zum Zünglein an der Waage werden, denn die Umfragen sagen ein "hung parliament" voraus. Das ist eine jener in Großbritannien seltenen Konstellationen, bei denen keine der beiden Großparteien - rechte Tories auf der einen Seite und linke Labour auf der anderen - eine absolute Mehrheit erhält und zu einer Koalition gezwungen ist. Diese Konstellation gab es bereits bei der letzten Wahl. Damals schmiedeten die Konservativen mit den überraschend starken Liberaldemokraten das Regierungsbündnis. Doch eine Neuauflage ist in weite Ferne gerückt - auch wenn die Konservativen wie durchschnittlich prognostiziert mit 273 Sitzen erneut stimmenstärkste Partei werden. Die Liberaldemokraten sind nämlich weit abgerutscht und mit vorhergesagten 26 Sitzen weit davon entfernt, eine tragfähige Koalition bilden zu können.
Somit führt an den Schotten - außer im Falle einer, eher für den Kriegsfall reservierten, großen Koalition - kein Weg vorbei. Selbst wenn es den Tories gelänge, mit allen anderen Parteien eine Koalition zu schmieden, so wäre es nach derzeitigem Stand immer noch zu wenig. Labour hingegen könnte es mit seinen prognostizierten 271 Sitzen gemeinsam mit der SNP gerade noch so auf eine stabile Mehrheit bringen.
Dass die SNP so stark ist, hat sicherlich mit dem Unabhängigkeitsreferendum zu tun. Man sagt, dass manch ein Schotte bei der Volksabstimmung dem Verstand den Vorzug gab und nun ein Ventil benötigt, damit sein Herzen Dampf ablassen kann. Zudem hat die SNP bei der Vision eines unabhängigen Schottlands populäre Themen aufgegriffen, die nun Programm sind. Dazu gehört etwa die Forderung, das nukleare U-Boot-Kontingent in Schottland aufzulösen und die 100 Milliarden Pfund statt in dessen Renovierung in Armutsbekämpfung zu stecken. Dazu gehört ein prononcierter Pro-Europa-Kurs. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Etablierung als Kraft gegen das Establishment in Westminister. Gelingt der SNP dort der Einzug, so hätten die Schotten die Vorzeichen umgekehrt: Wollten sie sich aus dem Vereinigten Königreich abspalten, um nicht mehr von England aus regiert zu werden, so würden künftig Schotten, die in England als Partei gar nicht existieren, die politische Zukunft der Engländer mitbestimmen.