In Schottland legt die proeuropäisch ausgerichtete SNP stark zu. Parteichefin Nicola Sturgeon versteht das vor allem als Auftrag für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum.
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Als das Wahlergebnis aus Ost-Dunbartonshire eintrifft, ballt Nicola Sturgeon ihre beiden Hände zur Faust und jubelt, als ob ihr Team gerade das entscheidende Tor im Fußball-WM-Finale geschossen hätte. 2017 hatte noch die Liberaldemokratin Jo Swinson den kleinen Wahlkreis im Norden von Glasgow überlegen gewonnen. Doch diesmal muss sich Swinson, die bei den Unterhauswahlen am Donnerstag auch als landesweite Spitzenkandidatin ihrer Partei angetreten war, einer Vertreterin der Scottish National Party (SNP) geschlagen geben.
"Schotten haben gesprochen"
Sturgeons SNP hat aber nicht nur in Ost-Dunbartonshire stark abgeschnitten. Mit 48 Sitzen erreicht die Partei nicht nur um 13 Mandate mehr als bei der vorigen Unterhauswahl im Jahr 2017, die SNP erobert auch knapp 80 Prozent der insgesamt 59 Sitze, die Schottland im Parlament in Westminster zustehen.
Die deutlichen Zugewinne sieht Sturgeon aber nicht nur als persönlichen Erfolg an. Die schottische Regierungschefin, die schon seit Jahren gegen die Bevormundung aus London trommelt, versteht das Ergebnis vor allem als Auftrag, die Schotten endlich in die Unabhängigkeit zu führen. Denn noch viel deutlicher als beim Brexit-Referendum im Jahr 2016, als die Schotten bereits mehrheitlich gegen den Austritt aus der EU stimmten, unterscheidet sich nun das Wahlergebnis in Schottland von den Resultaten im restlichen Großbritannien. So kommt die proeuropäisch ausgerichtete SNP in Schottland auf 45 Prozent der Stimmen, die Tories von Premierminister Boris Johnson liegen dagegen bei nur 25 Prozent. "Die Menschen in Schottland haben gesprochen", sagt Sturgeon. "Nun ist die Zeit gekommen, in der wir selbst über unsere Zukunft entscheiden."
Und nach Sturgeons Willen soll es dabei nun vor allem schnell gehen. Schon nächste Woche will die 49-jährige Juristin, die seit 2014 an der Spitze der SNP steht, die ersten vorbereitenden Schritte für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einleiten. Dazu gehört neben vielen formalen Details auch ein offizielles Ansuchen an die Regierung in London nach Article 30 des Scotland-Acts mit dem Ziel, die rechtlichen Befugnisse für die Abhaltung einer zweiten Volksabstimmung von Westminister auf das Regionalparlament in Edinburgh zu übertragen.
Johnson legt sich quer
Doch einfach wird der Weg in die Unabhängigkeit nicht und auf keinen Fall wird es wohl so schnell gehen, wie Sturgeon das vorschwebt. Denn für Änderungen im Article 30 müssen beide Kammern des Parlaments in Westminster zustimmen und im Unterhaus verfügen die Tories von Premier Boris Johnson nach der Wahl nun mit 365 Sitzen über eine komfortable Mehrheit.
Johnson hat seine ablehnende Haltung zu den hochfliegenden schottischen Unabhängigkeitsplänen in der Vergangenheit auch schon mehrfach deutlich gemacht. Denn auf keinen Fall will der ehemalige Bürgermeister von London als jener Premierminister in die Geschichte eingehen, in dessen Amtszeit das Vereinigte Königreich zerfallen ist. Doch auch für Johnson ist die Sache nicht ohne Risiko. Denn falls er darauf besteht, dass es kein zweites Referendum geben darf, könnte Großbritannien in eine neue Verfassungskrise stürzen - zumal auch viele Briten der Meinung sind, dass man den Schotten eine Volksabstimmung nicht auf alle Zeit verweigern kann.
Gänzlich unklar ist zum heutigen Zeitpunkt, wie ein zweites Referendum ausgehen würde. So ist die Zahl der Unabhängigkeitsbefürworter infolge der Brexit-Wirren heute zwar deutlich größer als bei der Abstimmung im Jahr 2014, bei der sich nur 45 Prozent für die Loslösung von London aussprachen. Mit einer Zustimmungsrate von 50 Prozent liegt eine eindeutige Mehrheit aber auch derzeit noch weit entfernt. Sturgeon hofft allerdings, dass sich der Wind in den kommenden Monaten noch weiter drehen wird. Denn mit dem klaren Sieg Johnsons gibt es nun zumindest keinen Zweifel mehr, dass der Brexit kommen wird.