Der Traum von der Unabhängigkeit ist wahrscheinlich ausgeträumt.
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Edinburgh. Größte Weitsicht hat Freitag Früh die Polizei von Edinburgh bewiesen. Als die ersten Resultate des Unabhängigkeitsreferendums eintrudelten, ließen die Behörden die Pubs schließen. Zuvor waren Ausnahmeregelungen erteilt worden, wonach die Lokale bis 3.00 Früh Alkohol ausschenken und bis zur Bekanntgabe des Endergebnisses geöffnet haben dürfen.
Doch ein Wahlbezirk nach dem anderen ging an die Gegner der Abspaltung, und die Menschen, die sich biertrinkend im "Kilderkin" drängten, wurden zunächst ruhig, dann machte sich eine gereizte Stimmung breit. Das in Kombination mit Alkohol ergibt in Schottland eine tödliche Mischung: Die Straßen im Zentrum von Edinburgh füllten sich mit schwankenden Menschen, die laut fluchend auf ihr Mobiltelefon starrten. Orkney und Clackmannanshire gingen klar an die Abspaltungs-Gegner, ebenso Midlothian und East Lothian. Dundee und Dunbartonshire stimmten zwar für Ja, das war aber ein Tropfen auf dem heißen Stein. Schlag auf Schlag kamen Ergebnisse für Bezirke, die an die "No-Campainer" gingen, wo sich die Sezessionisten aber Chancen ausgerechnet hatten.
Die Perspektive eines unabhängigen Schottlands wurde minütlich geringer. Erstmals brachen die No-Aktivisten, die in den letzten Wochen kaum zu bemerken waren, in lauten Jubel aus. Vor allem, als Aberdeen, Dumfries und Galloway klar an No ging. Die Siege der Unabhängigkeitsbefürworter waren dagegen meist knapp.
Schon vor dem Bekanntwerden der aus Sicht der Sezessionisten katastrophalen Ergebnisse brodelte die Gerüchteküche. Von Wahlmanipulation war die Rede und von einer Revolution, die im Falle eines knappen Nein-Sieges drohe. Auch über eine Neuauszählung der Stimmen wurde spekuliert. In der Tat geht die Polizei in Glasgow dem Verdacht von Identitätsdiebstahl in zehn Fällen nach - was am Ergebnis nichts ändern wird.
Generell ist es so, dass die in Schottland geboren Schotten eher für die Abspaltung, die Zugezogenen eher für den Verbleib in der Union stimmten. Um 6:00 Uhr lag Nein mit 55 Prozent uneinholbar vor Ja. Zunächst war da noch die große Hoffnung des Ja-Lagers - Glasgow. Die Industriemetrople ging dann wie erwartet an Yes, aber wieder nur knapp. Nicola Sturgeon, Stellvertreterin des schottischen Nationalisten-Chefs Alexander Salmond, gab die Richtung vor: Das Zwischenergebnis sei so, dass Schottland nie wieder das sein könne, was es einmal war, so Sturgeon. Das Ergebnis und die Wahlbeteiligung seien überwältigend. Der Status quo sei für Schottland "nicht genug". Trotzdem war das erste Mal in dieser Wahlnacht von "Enttäuschung" die Rede. Salmond selbst stieg noch in der Nacht mit seiner Frau in den Flieger Richtung Edinburgh, um dort die Niederlage zu kommentieren.
Doch auch die Metropole, die die künftige Hauptstadt eines unabhängigen Schottland sein sollte, wandte sich gegen die Unabhängigkeit - ein Desaster für die Sezessionisten, die nun keine Aussichten auf Erfolg mehr haben: Nur 38,9 waren hier für die Abspaltung, stolze 61,1 dagegen.