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Ein Selbstmordanschlag unmittelbar vor der Residenz von Israels Premier Ariel Sharon hat den Nahostkonflikt wieder mitten auf die Straßen von Jerusalem gebracht. Das verkohlte Wrack des Busses und die blutige Bilanz von mindestens elf Toten und 50 Verletzten führt der israelischen Öffentlichkeit schmerzhaft den Stillstand im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern vor Augen.
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Svetlana Minchiker saß zusammen mit dem Selbstmordattentäter im Bus der Verkehrsgesellschaft Egged und telefonierte gerade. "Ich dachte, mein Handy wäre explodiert", sagt sie, noch völlig schockiert unter dem Bann der Ereignisse, und hebt ihre mit Blut verschmierten Hände. "Als ich langsam wieder etwas spüren konnte, gelang es mir, durch ein Fenster herauszuklettern." Die Wucht der Explosion vom Donnerstagmorgen, gegen 9.00 Uhr Ortszeit (8.00 Uhr MEZ), war so stark, dass abgerissene Körperteile auf Balkone von Häusern der Umgebung geschleudert wurden. Ein Teil des Busdaches flog auf ein zweistöckiges Gebäude.
"Es gibt viele schwere Verletzungen, viele Menschen befinden sich in kritischem Zustand", berichtet der Rettungssanitäter Eli Beer. "Vielen Menschen wurden Arme oder Beine abgerissen." Der Chefredakteur der Tageszeitung "Jerusalem Post", Bret Stephens, befand sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Nähe und schildert das Schreckensbild mit den Worten: "Überall lagen Glasscherben auf dem Boden, Schuhe, Füße, Gedärme."
Stephane Ben Shushan, der in dem wohlhabenden Viertel ein Schokoladengeschäft betreibt, sah noch, wie der Bus nur langsam durch den zähen Berufsverkehr vorankam, als er plötzlich explodierte. "Das ist ein schrecklicher Albtraum", klagt er und fügt leise hinzu: "Man kann das Blut riechen." Mit der Routine zahlreicher früherer Anschläge gehen Sanitäter, Polizisten und Freiwillige der orthodoxen Einsatzgruppe ZAKA, die jedes kleine Körperteil aufsammeln, ihrer traurigen Arbeit nach. Benommene Passanten irren vorbei und geben ihren Tränen freien Lauf.
Von einem Friedensprozess kann kaum noch gesprochen werden. Zwar trafen sich zum Zeitpunkt des Anschlags zwei Gesandte des US-Außenministeriums, David Satterfield und John Wolf, mit dem israelischen Verteidigungsminister Shaul Mofaz, um über mögliche Schritte entsprechend dem internationalen Friedens-Fahrplan (Roadmap) zu sprechen. Aber Sharon und sein Außenminister Silvan Shalom sagten ein geplantes Treffen mit den Amerikanern und Vertretern der Palästinenser nach dem Anschlag ab.
Der bisher glücklos agierende palästinensische Ministerpräsident Ahmed Korei verurteilt auch diesen Anschlag und rief alle Konfliktparteien zur Rückkehr zum Geist der "Roadmap" auf. Mehr Einfluss haben zurzeit aber offenbar Leute wie der Hamas-Funktionär Abdelaziz Rantisi, der dem Anschlag verbale Gewalt folgen lässt: "Es ist nicht wichtig, wer diese Operation ausgeführt hat", sagt Rantisi. "Sehr wichtig ist allein, dass wir Besetzern Widerstand leisten, die gekommen sind, unser Land zu besetzen und unsere Leute zu töten."