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Schreckgespenst Plastic Planet

Von Petra Tempfer

Politik
Zuerst Transportmittel, dann unverrottbarer Müll: Sackerl, die achtlos ihrem Schicksal überlassen und vom Wind vertragen werden. Foto: corbis

Bis auf die ÖVP wollen alle Parteien das Plastiksackerl per Gesetz verbieten. | Umweltminister: "Verbot wäre Verstoß gegen das EU-Recht." | Wien. Wie selbstverständlich füllt man die Äpfel in der Obstabteilung hinein, verstaut die Ausbeute eines Shopping-Tages darin oder zweckentfremdet es zum Müllsack: das Plastiksackerl, das selbst massiv zum Müllproblem beiträgt, wenn es nicht ordnungsgemäß entsorgt wird. | Plastikteile, die kleiner sind als Plankton


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400 Jahre braucht es, um auf Stücke so groß wie Sandkörner zu zerfallen - in Österreich werden jährlich 350 Millionen davon verbraucht. Verrottbar ist es nicht.

Nachdem Italien mit Beginn dieses Jahres ein Plastiksackerl-Verbot erlassen hat, werden nun auch die Parlamentsparteien in Österreich aktiv. Alle bis auf die ÖVP wollen die Sackerl per Gesetz verbannen. Auch Wien will "dieses Problem im Regierungspakt angehen", wie es aus dem Büro der Umweltstadträtin Ulli Sima heißt. Einzelne Bezirke und Gemeinden wie Wieselburg in Niederösterreich und Kaindorf in der Steiermark haben bereits Initiativen gegen das Plastiksackerl gesetzt.

Allein Umweltminister Nikolaus Berlakovich stellt sich gegen das Vorhaben. Das Verbot von Plastikverpackungen würde gegen jene EU-Richtlinie verstoßen, die vorsieht, dass stofflich respektive thermisch verwertbare Verpackungen jedenfalls auf den Markt gebracht werden müssen. Das Plastiksackerl-Verbot in Italien werde daher von der EU genauso aufgehoben werden wie vor kurzem jenes in Frankreich, wo es 2010 erlassen worden ist.

Fünf-Punkte-Programm

Der Umweltminister schlägt daher den sanfteren Weg eines Fünf-Punkte-Programms vor. Dieses sieht die Kooperation mit dem Handel zur Plastiksackerl-Vermeidung und die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung vor. Weiters sollen die bestehenden Regelungen in anderen EU-Ländern evaluiert werden.

"Der Umweltminister ist ein Verzögerungsminister", meint SPÖ-Nationalratsabgeordnete Andrea Gessl-Ranftl dazu. Berlakovich ignoriere die Meinung der Bürger, von denen laut Umfragen mehr als 60 Prozent für ein Verbot von Plastiksackerln seien.

"Statt ein Verbot im Keim zu ersticken, soll Berlakovich aktiv werden und für eine Änderung des EU-Gesetzes eintreten", pflichten ihr Norbert Hofer von der FPÖ und Rainer Widmann vom BZÖ bei. Mit dieser Forderung beißen sie bei Berlakovich auf Granit. Der Umweltminister plant nicht, das EU-Gesetz zu verändern, wie er auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" betont. Stattdessen will er "mehr Eigenständigkeit auf nationaler Ebene erreichen, sodass die EU-Länder in der Plastiksackerl-Frage unabhängiger agieren können", sagt er.

"Bis dahin könnte Berlakovich eine Entsorgungsabgabe für Plastiktaschen einführen, damit diese teurer als umweltfreundliche Alternativprodukte werden", schlägt Hofer als Zwischenlösung vor. In Irland etwa werden 22 Cent pro Sackerl eingehoben. In Großbritannien wiederum dürfen seit 2009 Kunststofftaschen nicht mehr gratis angeboten werden.

In diesem sanften Weg ohne Gesetzesänderung auf EU-Ebene sieht die ÖVP sogar eine Dauerlösung, wie etwa Roman Stiftner, Umweltsprecher der ÖVP-Wien, betont. "Freiwilligkeit funktioniert auf Dauer nicht", kontern die anderen Parteien.

Heizwert wie Heizöl

Dass Plastiksackerl ökologisch viel besser als ihr Ruf sind, meint hingegen Johann Pummer von der Wirtschaftskammer Österreich: "Ein Sackerl hat einen Heizwert wie Heizöl. Wer Erdöl sinnvoll nutzen möchte, sollte Kunststoff daraus machen." Überdies sei der Anteil der Plastiktaschen von einem Prozent am gesamten anfallenden Kunststoffmüll verschwindend klein. 95 Prozent aller Sackerl würden in Österreich ordnungsgemäß entsorgt.

Länder außerhalb der EU gehen dennoch rigoros gegen das Plastiksackerl vor. In Südafrika etwa wird ein Verstoß mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe geahndet. In Bangladesch dürfen seit zehn Jahren keine Kunststofftaschen verwendet werden, weil das Müllproblem so groß ist, dass die Sackerl während des Monsunregens die Abwasserkanäle verstopfen.

Alternativen zum Plastiksackerl

(flor) Die Tragetasche aus Papier* kam Anfang des 20. Jahrhunderts als Ersatz für Einkaufstaschen auf. Ohne Griffe ist sie heute noch in den USA die übliche Verpackung für den täglichen Einkauf. In Europa wurde sie seit den 1950er Jahren weitgehend durch die Plastiktragetasche verdrängt. Papier sackerl sind in der Anschaffung rund doppelt so teuer wie Plastik-Tragetaschen. Der Schadstoffanteil, der bei ihrer Herstellung anfällt, kommt allerdings fast an jenen der Erdölproduktion heran. Bei ordnungsgemäßer Entsorgung verrotten sie in vier bis sechs Wochen.

* Tragetaschen aus Biokunststoff: Als Biokunststoff oder auch Bioplastik werden Stoffe bezeichnet, die auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen erzeugt werden. Dabei handelt es sich um eine relativ junge Entwicklung, an der seit rund zehn Jahren gearbeitet wird. Den derzeit wichtigsten und gebräuchlichsten Vertreter der Biokunststoffe - mit einem Marktanteil von etwa 80 Prozent - bildet thermoplastische Stärke. Die bedeutendsten Pflanzen, die zur Gewinnung von Stärke genutzt werden, sind Mais, Weizen und Kartoffeln. Tragetaschen aus diesen Materialien können in der Biotonne entsorgt werden und verrotten innerhalb von sechs Wochen. In der Anschaffung sind Plastiktaschen aus Biokunststoff allerdings rund viermal so teuer wie das herkömmliche Plastiksackerl. Der Einsatz von Stärke zur Herstellung von Tragetaschen wird zudem von Experten stark kritisiert: Damit greife man in ohnehin schon knappe Nahrungsvorräte ein. Besser geeignete Stoffe seien Cellulose oder Abfallprodukte aus der Landwirtschaft.

* Am umweltfreundlichsten sind wohl Tragetaschen aus Baumwolle. Sie sind zwar in der Herstellung am teuersten, können dafür aber beliebig oft verwendet werden.