Corona könnte einen ähnlichen Schaden anrichten wie der Ölpreisschock 1973.
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Wir schreiben das Jahr 1975. Die Inflation beträgt knapp 9 Prozent jährlich, dafür wächst die Wirtschaft nicht, sondern schrumpft um 0,4 Prozent. Das bringt die Menschen gleich mehrfach unter Druck: Die Inflation frisst ihre Ersparnisse und entwertet ihre Löhne; die schrumpfende Wirtschaft gefährdet ihre Jobs - und macht es damit auch schwerer, der Inflation angemessene Löhne und Gehälter auszuhandeln.
Die Ökonomen nennen das Stagflation - also eine Kombination aus Stagnation und Inflation - und fürchten sie wie kaum eine andere wirtschaftliche Gemengelage. Stagflation ist für die Wirtschaftspolitik wie eine Mischung von Corona und Krankenhauskeim für die Mediziner.
Umso bedenklicher ist, dass nicht wenige Ökonomen es für realistisch halten, dass eine derartige Stagflation, wie wir sie zuletzt in den 1970ern verzeichnen mussten, vor uns liegt. War damals der Ölpreisschock des Jahres 1973 der Auslöser - also ein jäher und dramatischer Anstieg des Ölpreises, vorsätzlich verursacht von den arabischen Lieferanten -, könnte diesmal die Corona-Krise eine Stagflation auslösen.
Erste Vorboten sind schon sichtbar. Weil Corona die hochglobalisierte Produktion von Konsumgütern aus dem Takt gebracht hat, gibt es bei vielen nicht ausreichend Angebot, lange Wartezeiten und dadurch natürlich steigende Preise.
Noch bildet sich das im Index der Konsumentenpreise kaum ab - noch. Am Bau etwa geht es schon rund, wie jüngste Zahlen zeigen: Produkte wie Baustahl, Elektroleitungen oder Dämmstoffe wurden um 30 bis 60 Prozent teurer. Die Preise fast aller Rohstoff sind explodiert, ebenso die Transportkosten, etwa von China nach Europa. Für die Bank of America Grund genug, vor einer "vorübergehenden Hyperinflation" zu warnen; Investment-Guru Warren Buffet sieht eine "massive Inflation" im Anmarsch. Für April wurden in den USA erstmals seit der Weltfinanzkrise wieder mehr als 4 Prozent gemessen, Tendenz steigend.
Gleichzeitig sind die Wachstumsprognosen für das nächste Jahr, gemessen an der Tiefe des Corona-Falles, nicht gerade rasend euphorisch. Zwischen 3 und 4 Prozent dürfte die EU-Wirtschaft 2022 wachsen, wenn alles gut geht - was danach kommt, liegt naturgemäß weitgehend im Dunkeln. Zumal nach Corona weitere Disruptionen des Welthandels drohen, die das Wirtschaftswachstum gefährden können. Dazu zählen etwa die zunehmenden Spannungen zwischen China und dem Westen, die damit verbundene Drohung einer weiteren Deglobalisierung und Renationalisierung von Produktionsketten sowie um sich greifender Protektionismus.
All das bedroht das ohnehin noch immer fragile Wachstum und macht ein Stagflationsszenario ein Stück wahrscheinlicher. Für die Wirtschafts- und Geldpolitik keine erfreuliche Aussicht. Denn versucht sie, die steigenden Preise - wie es das Lehrbuch vorsieht - mit höheren Zinsen zu dämpfen, verschlimmert sie die Stagnation. Und bekämpft sie diese mit noch niedrigeren Zinsen und noch mehr frisch gedrucktem Geld, heizt sie die Inflation weiter an.
Medizinisch mag der schlimmste Teil der Pandemie hinter uns liegen - dass ihm nun eine Art ökonomisches Long-Covid folgt, ist leider nicht auszuschließen.