)
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Was fällt den Bäumen wohl als nächstes ein? Das kleine Einmaleins herunterzubeten und bei den Taferlklasslern einen Verfolgungswahn auszulösen? Oder fangen sie an, mit ihren Blättern Origami zu spielen, bevor sie im Herbst die Passanten damit bewerfen, die sich dann angesichts der kunstvoll gefalteten Schwäne und Fluggeräte bekreuzigen - vor lauter Wunder?
Botanisch aufgewecktere Personen, die bis zum 31. Dezember bei der ÖBV (Grillparzerstraße 14) hereinschauen und die die Bäumchen ja schwer übersehen können (ich meine die Bäumchen, in deren Schatten an der Wand wie ein Menetekel eine geheimnisvolle Botschaft steht, nämlich "mhmmmhm"), so botanisch wachsame Leute, wie gesagt, vermuten womöglich eine mysteriöse, geradezu exzentrische Form der Photosynthese, also der chemischen Prozesse in grünen Pflanzen durch Lichteinwirkung. In dem Fall: die Umwandlung organischer Substanzen (grüner Blätter) in anorganische (also Buchstaben, konkret: "mhmmmhm"). Das glauben natürlich nur begnadete Biophantasten und Mutationsvisionäre. Wir andern geben uns mit der prosaischen Erklärung zufrieden, dass der "Sprachkünstler" Fred Eerdekens das Laub seiner künstlichen Bäumchen liebevoll gelichtet, geschnitten und gelegt, kurz: zurechtfrisiert hat wie ein Friseur (sogar einzelne Blätter verbogen hat) und dann Scheinwerferlicht durch die "Frisur" jagte. Und den toten, weil synthetischen Bäumen zumindest schriftlich das Murmeln und Tuscheln der Blätter zurückgegeben hat: "mhmmmhm".
So, jetzt muss ich aber meine Begeisterung für dieses Opus bremsen. Sonst ist für die andern (immerhin fast 25 Künstler und -innen: Siegrun Appelt, Silvie Defraouie, IRWIN, Ken Lum und, und, und) kein Platz mehr. Zum Beispiel für Baruwa, dessen "Tischlampe" mit ihren "verkehrten" Lichtverhältnissen mir ja auch ziemlich zusagt. Baruwa lässt da das Licht im physikalischsten Sinne des Wortes unter den Tisch fallen (mit Hilfe von unter der Tischplatte montierten Neonröhren). Noch dazu - und das war reiner Zufall oder es war die Vorsehung - passt der Tisch wie angegossen einer schon viel länger anwesenden Fotomontage auf dem Fußboden (von Brigitte Kordina), die die Illusion erzeugt, als würde sich diverses Grünzeug soeben zaghaft zwischen den Bodenfliesen heraustrauen. Quasi als hätte der Tisch mit seinem Licht das "Unkraut" aus der stockfinstren Dunkelheit herausgekitzelt, die unter dem steinernen Fußboden notgedrungen herrscht. Und als hätte das nunmehrige "Biotop unterm Tisch" sein Leben lang immer nur auf Baruwas Tisch gewartet. Eigentlich romantisch.
Ach ja, die Ausstellung heißt "GegenLicht", wofür Grita Insam guten Geschmack bewies, um Einiges zum Thema Licht (Licht im weitesten Sinne, also auch "transluzide" Malerei vom Brandl) zusammenzutragen. Für drei verschiedene Orte, wo die Maecenas-Preisträger 2002 daheim sind: in der ÖBV (die erwähnte ich schon), im BUWOG-Kundenzentrum (Hietzinger Kai 131 - Da sieht es beispielsweise auf den Fensterscheiben des Cafés aus wie nach einem willkürlichen Konfettiregen oder nach einer Verdauungsrast eines ganzen Rieseninsektenstaates, weil Karl-Heinz Klopf den Kaffeetrinkern im Café punktuell die Sicht aufs Tageslicht versperrt, das von draußen reinkommt), und die Dritten im Bunde sind die Wiener Linien, die Hüter des Verkehrs-Orkus von Wien, der hierzulande größte Anbieter von Fortbewegung unter Tage. Auch da wird man mit Photonen beschossen. Sonst würde man ja nicht sehen, wo man einsteigt.
Dort unten deckt Nika Radic auf, was die Leute wirklich tun, während sie auf die nächste U-Bahn warten und sich vertrauensvoll jenem "Babysitter" ausliefern, der sie vermeintlich aus dem Warten erlöst und der die bequemste Alternative zur Bewegungstherapie mit Namen "Däumchendrehen" ist (der Infoscreen). Radic unterbricht nun zeitweise das offizielle Nachrichten- und Werbeprogramm mit Bildern von wartenden Menschen und zeigt den Leuten am Bahnsteig ungeschönt, was sie gerade tatsächlich tun: warten. Denn Warten ist das halbe Leben.