Unberechenbarer Diktator mit Drang zum Missionieren. | Gaddafi-Ideologie ist krude Mischung.
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Tripolis/Wien. Mit seiner Einschätzung, Muammar Gaddafi sei „zu hundert Prozent krank im Kopf”, war Ägyptens Ex-Präsident Anwar al-Sadat wahrlich nicht alleine. Doch trotz international belächelter Auftritte im Beduinenzelt, absurder Drohungen wie einem Aufruf zum Heiligen Krieg gegen die Schweiz und grotesker Selbstüberschätzung, die sich unter anderem darin äußerte, dass er sich zum „König der Könige Afrikas” ausrufen ließ, gelang es dem „Revolutionsführer”, sich über fast 42 Jahre an der Spitze Libyens zu halten.
Geprägt wurde der heute 69-Jährige vom arabischen Nationalismus des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, dem er nacheiferte. Der junge Gaddafi gründete einen „Bund freier Offiziere” und putschte 1969 erfolgreich gegen den libyschen König Idris I. - anders als Nasser aber verband Gaddafi seine nationalen und sozialistischen Konzepte schon früh mit Ansätzen einer Islamisierung von Gesellschaft und Staat und verbat dem Volk beispielsweise jeglichen Alkoholkonsum. Gaddafi vertrieb Engländer und Amerikaner von ihren libyschen Basen, verwies 25.000 italienische Siedler des Landes und verstaatliche Ölanlagen, die unter Führung westlicher Konzerne standen. Auch die Verfolgung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in Libyen wurde verstärkt. Heute leben keine Juden in Libyen.
Mit seinen Ideen ging Gaddafi hausieren: Sein „Grünes Buch”, das laut Eigendarstellung als Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus eine „Dritte Universaltheorie” darstellen sollte, ließ er in den 80er-Jahren sogar von einer deutschen Eishockey-Mannschaft bewerben. Während in seinem Buch von direkter Demokratie und „Basisvolkskongressen” die Rede ist, ließ „Bruder Revolutionsführer”, wie sich Gaddafi in fraternalem Tonfall anreden ließ, Kritiker foltern.
Sprunghafter Terrorpate
Auch nachdem er 1979 die Staatsführung formal zurückgelegt hatte, agierte er in dem Land ohne Verfassung in seiner Rolle als Revolutionsführer als unumschränkter Diktator. Dies tat er mittels eines ausgedehnten Patronagesystems, das die Stämme in der Kyrenaika um die Rebellenhochburg Bengasi systematisch benachteiligte.
Die internationale Politik beschäftigte Gaddafi vor allem in den 80er-Jahren mit seiner Unterstützung von Terroranschlägen wie etwa dem auf ein PanAm-Flugzeug über der schottischen Stadt Lockerbie. Es soll Gaddafi selbst gewesen sein, der den Befehl dazu gegeben hatte. In den späten 90er-Jahren schwenkte der sprunghafte Diktator auf einen prowestlichen Kurs um. Sein nunmehr eher prosaisches Ende dürfte er sich anders vorgestellt haben: Auf einer Briefmarke anlässlich eines Jubiläums ließ sich Gaddafi auf einem weißen Schimmel gen Himmel reitend darstellen. Das Bild sollte Gläubige an die Himmelfahrt Mohammeds erinnern.