Zum Hauptinhalt springen

Schritt für Schritt zur Macht

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meinigen

Politik

Die bisher eher durchwachsene Bilanz der römischen Bürgermeisterin Virginia Raggi schadet der 5-Sterne-Bewegung nicht. Sie liegt auf nationaler Ebene nach wie vor im Spitzenfeld und macht nun Jagd auf konservative Wähler.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Rom. Vor ein paar Tagen saß Virginia Raggi im Fernsehstudio und setzte ihre sarkastische Miene auf. "Es war zwar nur ein Jahr", sagte die Bürgermeisterin der italienischen Hauptstadt, "aber mir kommt es vor, als sei ich um zehn Jahre gealtert." Rom ist anstrengend, das wissen auch die Bewohner nur zu gut. Diesen Moloch zu verwalten, ist noch aufreibender. Seit Juni 2016 ist die 38-jährige Anwältin der alternativen 5-Sterne-Bewegung nun im Amt. Sie kam als Hoffnungsträgerin, gibt inzwischen aber eher ein Bild des Jammers ab.

Raggi rühmt sich zwar, ihre Stadtregierung habe erstmals seit Jahren rechtzeitig die Planungen für den Haushalt abgeschlossen. Künftig seien also keine außerordentlichen Auftragsvergaben mehr notwendig, die die Korruption in der Verwaltung erblühen ließen. Ehrlichkeit und Transparenz hatte die Bürgermeisterin beim Amtsantritt versprochen, aber die Römer interessiert vor allem, dass Verkehr und Müllentsorgung endlich so funktionieren, wie es einer europäischen Hauptstadt würdig ist. Einer Umfrage zu Folge stellen 70 Prozent der Befragten Raggi ein schlechtes Zeugnis aus.

Dazu kommt, dass die Bürgermeisterin sich nun offenbar auch vor Gericht verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft hat Raggi schon länger im Visier, ihr soll nun voraussichtlich im Herbst der Prozess gemacht werden, wegen Amtsmissbrauch und Falschaussage. Sie soll zwei Mitarbeiter der Stadtverwaltung begünstigt haben. Der Prozess könnte mit dem Beginn des Wahlkampfes vor den Parlamentswahlen zusammenfallen, die wahrscheinlich im Frühling stattfinden. Eine Einigung der Parteien auf ein neues Wahlrecht nach deutschem Vorbild, die Neuwahlen bereits im Herbst wahrscheinlich gemacht hätte, war im letzten Moment geplatzt.

Lange wurde Raggis Erfolg oder Misserfolg in Rom als Gradmesser für die politische Reife der 5-Sterne-Bewegung angesehen. Und auch bei der zweiten Runde der Kommunalwahlen an diesem Sonntag spielt die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Bewegung kaum eine Rolle, die erste Runde vor zwei Wochen lieferte enttäuschende Ergebnisse. In den Umfragen auf nationaler Ebene scheint die populistische und systemkritische Partei jedoch immun gegen schlechte Nachrichten zu sein. Knapp 30 Prozent der Wähler würden den "Grillini" bei nationalen Wahlen trotz allem ihre Stimme geben und sie damit höchstwahrscheinlich zum Wahlsieger machen. Die "5 Stelle", die seit 2013 im Parlament vertreten sind, profitieren weiterhin vom unbefriedigenden Angebot der italienischen Politik.

Denn Ex-Premier Matteo Renzi engagiert sich vor allem für die eigene Wiederwahl, während seine Sozialdemokraten sich in Flügelkämpfen mit der Linken verstrickt haben. Auf der anderen Seite mischt der 80-jährige Silvio Berlusconi mit seiner Forza Italia immer noch mit und erkennt nun in der 5-Sterne-Bewegung seinen schärfsten politischen Konkurrenten. Bei einem Auftritt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen am Mittwochabend bezeichnete Berlusconi die Grillo-Bewegung als nicht regierungsfähig und programmatisch unzuverlässig. Ihr Vorschlag, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, sei nicht finanzierbar, mache sie aber bei vielen Wählern attraktiv.

Kurswechsel bei Flüchtlingen

Die ursprünglich eher linksalternativen "Grillini" sind seit einiger Zeit insbesondere im rechten Wählerspektrum auf der Suche nach Konsens. Dort konnte sich nach dem politischen Abstieg Berlusconis abgesehen von der rechten Lega Nord keine weitere politische Kraft etablieren. Bei der gegenwärtigen Debatte im Parlament über die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts kündigten die Abgeordneten der 5-Sterne-Bewegung ihre Enthaltung an, obwohl die Bewegung früher eine entsprechende Liberalisierung befürwortet hatte. Vize-Parlamentspräsident Di Maio lästerte zudem öffentlich über die Nichtregierungsorganisationen, die als "Mittelmeer-Taxis" Flüchtlinge ans Festland schafften. Und auch Bürgermeisterin Raggi verwahrte sich gegen weitere Flüchtlinge in der Hauptstadt.

Die Kursänderung kommt freilich nicht von ungefähr. In der italienischen Bevölkerung wächst der Unmut über ungeregelte Zuwanderung, in diesem Jahr kamen bisher bereits mehr als 70.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer. Und diese Stimmung wollen nun auch die "Grillini" für sich nutzen und ihr konservatives Profil schärfen.

Zu beobachten sind zudem Annäherungsversuche an das katholische Milieu in Italien. Ein Passus, der bei der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes vor einem Jahr auch die Adoption von Kindern homosexueller Partner erlaubt hätte, kam wegen fehlender Stimmen der 5-Sterne-Abgeordneten zum Wohlgefallen der katholischen Kirche nicht durch das Parlament. Und auch die Kontakte zwischen Politikern der Bewegung und dem Vatikan häufen sich. Grillo behauptete jüngst sogar, seine Bewegung sei im Jahr 2009 bewusst am 4. Oktober, dem Tag des Heiligen Franziskus gegründet worden. Dass der Papst mit demselben Namen für eine großzügige Flüchtlingspolitik bekannt ist, die sich kaum mit den Positionen der 5-Sterne-Bewegung verträgt, steht auf einem anderen Blatt. Bislang hat den "Grillini" ihre programmatische Flexibilität jedenfalls nicht nachweislich geschadet.