)
Kranke Zellen durch neue ersetzen - ein Medizintraum könnte sich erfüllen. | Auch beim Krebs scheint es Stamm- zellen zu geben. | Yokohama/Tokio. Der Heilige Gral der Zellmedizin rückt näher. Forschern in Japan und den USA ist es unabhängig voneinander gelungen, Hautzellen von Mäusen zurück in induzierte Stammzellen (iPS) zu verwandeln, ohne deren Erbgut zu verändern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Rückwandlung von Maus- und Menschenzellen wird durch maximal vier Gene ausgelöst, die der Japaner Shinya Yamanaka vor zwei Jahren entdeckte. Bisher werden diese Gene mit Hilfe von Retroviren in die Zelle transportiert. Doch als unbeabsichtigte Wirkung verändern die Viren das Erbgut der Zellen. Sie können zu Krebszellen entarten und sind deshalb für eine medizinische Therapie ungeeignet.
Ein Gentransportohne Nebenwirkungen
Nun haben Yamanaka und sein Team an der Universität Kyoto die Umwandlungsgene mit Hilfe von Plasmiden ohne diese Nebenwirkung in die Zelle eingeschleust und sichere iPS-Zellen bekommen. Das gleiche Ergebnis erzielte zwei Wochen zuvor der Österreicher Konrad Hochedlinger an der US-Universität Harvard, indem er Adeno-Viren für den Gentransport benutzte. "Wir sind noch nicht am Ziel, aber das ist ein großer Durchbruch", kommentierte Stammzellenexperte Ariel Ruiz i Altaba von der Uni Genf die neuesten Manipulationen.
"Nach 20 Jahren Molekularbiologie können wir nun die Basis von vielen Krankheiten verstehen lernen, Therapien entwickeln und das Schicksal von Zellen verändern." Yamanaka und Hochedlinger wollen ihre neuen Methoden auch an menschlichen Hautzellen zum Erfolg führen. Das wäre der nächste Schritt zu einer regenerativen Medizin.
Bereits seit der Entdeckung der Yamanaka-Gene boomt weltweit die Forschung an iPS-Zellen. Sie sollen einmal den kühnen Medizinertraum erfüllen, alte oder kranke Zellen durch neue zu ersetzen. Die Schüttellähmung Parkinson wäre dann genauso heilbar wie Gewebeschäden nach einem Infarkt.
iPS-Zellen können sich zwar nicht mehr, so wie eine embryonale Stammzelle, in jede beliebige Zelle entwickeln. Aber auf dem Umweg über iPS-Zellen lassen sich etwa Hautzellen in Leberzellen verwandeln. Diese würde ein Patient nicht abstoßen, weil sie vom eigenen Gewebe wären.
Die Entdeckung der iPS-Zellen umgeht zugleich das moralische Problem, bei der Zellzüchtung Embryonen zu töten. Yamanaka selbst hatte mit der Forschung an embryonalen Zellen aufgehört, weil ihm beim Gedanken an die eigene Tochter moralische Zweifel gekommen waren.
Durch den Einsatz von iPS-Zellen wird man bisher unheilbare Krankheiten schneller verstehen können. In der Krebsbekämpfung erwartet man ebenso Fortschritte. Denn beim Krebs scheint es ebenfalls Stammzellen zu geben. Sie sorgen offenbar dafür, dass sich der Tumor im Körper ausbreitet. Die herkömmliche Chemotherapie kann diese Tumorzellen bisher nicht bekämpfen.
Noch zehn Jahre bis zu ersten klinischen Tests
Viele Probleme sind aber noch ungelöst. Sorge bereitet zum Beispiel die geringe iPS-Erfolgsquote: Aus 10 Millionen Mauszellen entstanden bei den jüngsten Experimenten in Kyoto weniger als 30 Kolonien von Stammzellen, in Harvard war die Quote noch drei Mal niedriger. Bis zu ersten klinischen Tests werden nach Ansicht von Experten noch fünf bis acht Jahre vergehen, Yamanaka spricht von zehn Jahren.
Der japanische Zellpionier warnte zudem auf der Fachmesse BioJapan in Yokohama vor einer weiteren Hürde: "Wir müssen es noch schaffen, eine Krankheit, die sich über viele Jahre im Körper eines Erwachsenen entwickelt, so zu beschleunigen, dass man ihren Verlauf innerhalb von wenigen Wochen an der Zelle beobachten kann."
Japan sieht sich als "Bio-Nation" und setzt große Hoffnungen auf die neuen chemischen Produktionsmethoden, weil sie den Weg zu einer Zellmedizin im industriellen Stil eröffnen.
Die Yamanaka-Technik wurde in Japan bereits patentiert, Patentanträge in anderen Ländern sollen folgen. Jedes Labor weltweit kann seit März iPS-Zellen aus Japan bestellen. In Kyoto wird bis 2010 ein fünfstöckiges Stammzell-Institut mit modernster Labortechnik aus dem Boden gestampft. Forscher werden ab sofort eingestellt. Ausländer sind willkommen, denn Direktor Yamanaka setzt auf internationale Kooperation. Er verbringt jeden Monat eine Woche in einem Labor in San Francisco und arbeitet eng mit Instituten in der kanadischen Provinz Ontario zusammen.
"Japan allein kann es nicht schaffen", sagte Yamanaka in Yokohama. "Wir können nur durch vertrauensvolle Partnerschaften an der Weltspitze bleiben." Zu den Hindernissen in Japan zählen die geringe Zahl von Ärzten für klinische Tests und langwierige Zulassungsverfahren für neue Medikamente. Zu seiner Forschung hat Yamanaka die gleiche Einstellung wie zu seinen bisher vier Marathonläufen: "Es reicht nicht, das Ziel zu sehen - man muss es erreichen."