Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Vertrauensabstimmung im Deutschen Bundestag wie von ihm angestrebt verloren. Bei der namentlichen Abstimmung am Freitag stimmten 151 Abgeordnete mit Ja, 296 mit Nein. 148 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Dies hatte die SPD- Führung ihren Abgeordneten vorgeschlagen. Kanzler Schröder kann nun Bundespräsident Horst Köhler um die Auflösung des Parlaments und eine Neuwahl bitten.
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Schröder hat bei der Abstimmung im Berliner Bundestag am Freitag um 150 Stimmen weniger als die Kanzlermehrheit von 301 Stimmen erhalten. Schröder will durch dieses Vorgehen den Weg zur Auflösung des Bundestages und für Neuwahlen frei machen. Diese Entscheidung muss aber Bundespräsident Horst Köhler treffen. Den Termin für Neuwahlen legt ebenfalls der Bundespräsident fest.
Schröder sowie die Minister seines Kabinetts mit Bundestagsmandat hatten bereits zuvor mehrheitlich angekündigt, sich bei der Vertrauensfrage der Stimme zu enthalten. Denselben Schritt hatte SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering seinen Fraktionskollegen empfohlen. Eine Mehrheit der Grünen wollte Schröder dagegen das Vertrauen aussprechen. Union und FDP hatten angekündigt, dem Kanzler das Vertrauen zu versagen.
Bundespräsident Köhler hat nun drei Wochen Zeit, über die Auflösung des Bundestages zu entscheiden. Der Kanzler wollte unmittelbar nach der Abstimmungsniederlage beim Präsidenten formal die Auflösung des Parlaments beantragen. Als Datum für die Neuwahlen streben alle im Bundestag vertretenen Parteien den 18. September an.
Der deutsche Kanzler hat diesen Weg gewählt, um eine Neuwahl am 18. September zu erreichen. Er sieht sich nach den jüngsten SPD-Wahlniederlagen nicht mehr regierungsfähig.
Verfassungsklagen
Es gilt als sicher, dass es Verfassungsklagen gegen dieses umstrittene Verfahren zur Auflösung des deutschen Parlaments geben wird. So kann es noch Wochen dauern, bis klar ist, ob tatsächlich in diesem Herbst gewählt wird. Zunächst muss nach dem Bundestag der deutsche Bundespräsident über das um ein Jahr vorgezogene Ende der Legislatur entscheiden. Er hat dazu 21 Tage Zeit. Über eine gescheiterte Vertrauensfrage war der Bundestag bisher 1972 und 1983 aufgelöst worden.
Die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher hat Köhler aufgefordert, einer Auflösung des Bundestages nicht zuzustimmen. Es handle sich um "ein fingiert verlorenes Vertrauensvotum und somit um ein nicht verfassungskonformes Verfahren", kritisierte Hamm-Brücher in der "Financial Times Deutschland" (Freitag-Ausgabe).
Keine Krisenstimmung
Die Deutschen haben einer Umfrage für die Zeitung zufolge in der Neuwahlfrage großes Vertrauen in den Bundespräsidenten. 65 Prozent sind der Meinung, Köhler werde sich bei seiner Entscheidung, ob er den Bundestag auflösen soll, an der Verfassung orientieren, ergab die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos (1.000 Befragte von 22. bis 29.6.). 24 Prozent glauben, Köhler werde sich durch eine bestimmte Partei beeinflussen lassen.
52 Prozent der Deutschen sehen demnach keine politische Krise, auch wenn Köhler eine Neuwahl ablehnen sollte, 40 Prozent dagegen befürchten derartige Turbulenzen. Besonders groß ist die Furcht vor einer politischen Krise bei CDU/CSU-Wählern (52 Prozent).
Der SPD-Ehrenvorsitzende Hans-Jochen Vogel stellte sich hinter die Initiative Schröders. "Es stellt sich die Frage, ob die Koalition die notwendige Stabilität besitzt, die der Kanzler für weitere Schritte benötigt. Darauf wird es bei der Beurteilung der Vertrauensabstimmung ankommen", sagte Vogel in einem Interview mit dem "Münchner Merkur" (Freitag-Ausgabe).