Die Regierung ist uneinig, ob es beim Beschäftigungsbonus einen Streit gibt oder nicht
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Wien. Gibt es überhaupt noch die rot-schwarze Koalition? Man sollte meinen, dass diese Frage eigentlich nicht so schwer zu beantworten ist. Eigentlich. Aber derzeit muss man sich bei dieser Frage wohl mit Radio Eriwan behelfen: Im Prinzip, ja. Denn es gibt eine Regierung, die nach wie vor von SPÖ und ÖVP beschickt wird, es gibt ein Arbeitsübereinkommen bis Herbst, und nun gibt es sogar wieder einen Ministerrat.
Anderseits ist da aber eben auch das von Kanzler Christian Kern avisierte "freie Spiel der Kräfte" im Nationalrat, auch wenn dieses noch nicht angepfiffen wurde. Durch die bereits terminisierte Neuwahl am 15. Oktober fehlt aber jedenfalls der für jede Koalition notwendige Kitt: die latente Neuwahlbedrohung. Und dann ist da auch, nun ja, eben der Ministerrat.
Schon in besseren Tagen der Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP war dieser oftmals Bühne für öffentlich ausgetragene Konflikte. Am Dienstag offenbarte sich nun, dass von der ehemals professionellen Partnerschaft wirklich nur mehr Fragmente, wenn überhaupt, übrig sind und der Wahlkampf natürlich auch begonnen hat. Und genau das macht es dann auch überaus kompliziert, auf eine weitere, eigentlich simple Frage eine Antwort zu erhalten: Wird es den Beschäftigungsbonus geben, auf den sich die Koalition bereits vor Monaten geeinigt hat?
Vereinbart wurde, dass ab Juli für die Dauer von drei Jahren die Lohnnebenkosten von zusätzlichen Beschäftigten gefördert werden sollen. Die öffentliche Hand übernimmt die Hälfte der Kosten, bis zu zwei Milliarden Euro werden dafür ausgegeben. Es ist ein relativ großes Jobpaket, auf das sich die Regierung hier verständigt hat. Bei dem Bonus gibt es eine wesentliche Einschränkung: Er soll nur für jene Neubeschäftigten zur Verfügung stehen, die in Österreich zuvor gearbeitet haben oder ausgebildet wurden. Damit will man verhindern, dass die zusätzlichen Jobs an Arbeitskräfte vergeben werden, die neu aus dem EU-Ausland zuziehen.
Die Initiative soll die Beschäftigung weiter erhöhen, aber gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen in Österreich reduzieren. Letzteres ist in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Eben weil das Beschäftigungswachstum in erster Linie durch den Zuzug von EU-Ausländern erreicht wurde.
EU-rechtlich ist der Plan heikel, wobei die SPÖ eine Formulierung gefunden zu haben meint, die nicht rechtswidrig ist. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts hat geprüft und keine "unmittelbare Diskriminierung" festgestellt, zudem hat man auch ein externes Gutachten eingeholt. Darauf beruft sich die SPÖ, die nun Druck macht, dass der Beschäftigungsbonus auch tatsächlich umgesetzt wird.
Noch am Montagabend zeigte sich Kern optimistisch, dass "die letzten Hürden", wie er sagte, im Ministerrat beseitigt werden würden. Was auch immer dort am Dienstag besprochen wurde - die Interpretationen von SPÖ und ÖVP waren doch sehr unterschiedlich. Vizekanzler Wolfgang Brandstetter sagte, dass man Irritationen ausgeredet habe, alles schon längst beschlossen sei und im Juni das Paket im Nationalrat beschlossen werde.
Heikle Materie
Kern interpretierte den Inhalt der Besprechung gänzlich anders und sieht die ÖVP nach wie vor in Sachen Beschäftigungsbonus auf der Bremse. Es gebe nur Bekenntnisse und Presseerklärungen, aber keine Umsetzungsschritte. "Diese Verzögerungen sind absolut unerträglich und nicht zu akzeptieren." In einem Statement auf Facebook zeigte sich der Kanzler dann aber auch optimistisch: "Ich bin überzeugt, hier eine Lösung zu finden."
Dieses doch etwas undurchsichtige Hin und Her führt zu einer dritten Frage: Woran genau hakt es denn jetzt? Auch diese Frage sollte eigentlich nicht so schwer zu beantworten sein. Aber auch hier gilt: eigentlich. Denn das Gutachten des Verfassungsdienstes besagt, dass die Ausgestaltung des Beschäftigungsbonusses sehr wohl eine "mittelbare Diskriminierung" bewirke. EU-Ausländer sind nicht generell von der Förderung ausgeschlossen, allerdings sollen nur jene profitieren können, die eben zuvor schon in Österreich gearbeitet haben. Aktuell sind rund 35.000 Personen aus anderen EU-Mitgliedstaaten arbeitslos gemeldet.
"Mittelbare Diskriminierung"
Laut dem Gutachten könne diese "mittelbare Diskriminierung" aber gerechtfertigt werden, indem beschäftigungs- und sozialpolitische Ziele dieser Maßnahme vorgebracht werden. Darauf verwies auch Kanzleramtsminister Thomas Drozda, der die Arbeitnehmerfreizügigkeit - eine von vier Grundfreiheiten der EU - durch die geplante Maßnahme nicht beeinträchtigt sieht.
Ähnlich wie die Qualität der Besprechung im Ministerrat interpretieren SPÖ und ÖVP offenkundig auch das Gutachten unterschiedlich. Während die Sozialdemokraten grünes Licht zur Umsetzung sehen, verweist Brandstetter auf "Fragen der Rechtssicherheit", die es zu klären gelte. An diesen rechtlichen Bedenken der ÖVP hängt die SPÖ wiederum ihre Deutung, dass die Volkspartei beim Beschäftigungsbonus in Wahrheit eine "Verzögerungstaktik" betreibe, wie Kern nach dem Ministerrat sagte.
Der Konflikt und seine öffentliche Darbietung erinnert frappant an einen vergangenen Streit, nämlich jenen um die geplante Anpassung der Familienbeihilfe für EU-Ausländer an die Einkommensverhältnisse in den Heimatländern, wenn die Kinder auch in diesen wohnen. Die Rollen waren damals allerdings vertauscht. Die ÖVP hatte diesen ebenfalls EU-rechtlich heiklen Plan monatelang betrieben und ebenfalls auf ein Gutachten verwiesen, das die Maßnahme im Einklang mit europäischem Recht sah. In dieser Causa war es die SPÖ, die Bedenken anmeldete und von der ÖVP deshalb verdächtigt wurde, auf der Bremse zu stehen.
Warten auf die Richtlinien
Das führt zur vierten Frage: Wie geht es nun weiter? Laut Brandstetter werde es noch diese Woche ein Treffen geben, wo die genauen Richtlinien besprochen und festgeschrieben werden sollen. Wenn diese Richtlinien, die formal das Wirtschaftsministerium erlassen muss, stehen, kann der Beschäftigungsbonus auch tatsächlich umgesetzt werden. Allerdings tendiert die ÖVP dazu, die EU-Kommission zuvor einzubinden, wie es beispielsweise Deutschland bei der Pkw-Maut gehandhabt hat. Ein Muss sei das nicht, sagt Heinz-Rudolf Miko, Sprecher der EU-Kommission in Österreich. Er empfiehlt es dennoch, um das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens zu eliminieren.
Wie lange dieses Verfahren dauert, lässt sich schwer sagen. "Die EU-Kommission ist in der Lage, schnell Auskunft zu geben". Sollte es also keine Einwände aus Brüssel geben, würde man kaum Zeit verlieren. Wenn aber doch, müsste Österreich mit der Kommission verhandeln - wie Deutschland bei der Maut.
"Wir brauchen aber einen Text, erst anhand der Richtlinien können wir sagen, ob es passt oder nicht. Der Hund liegt im Detail begraben", sagt Miko. Was sich angesichts der vergangenen Tage sagen lässt: offensichtlich nicht nur im Detail. Das hat der Konflikt um den Beschäftigungsbonus wieder sehr deutlich bewiesen.