Zum Hauptinhalt springen

Schuld und Reue

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
0

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Es muss schlecht, sehr schlecht um Christian Wulff gestanden sein. Warum sonst hätte sich der deutsche Bundespräsident nun an den letzten Strohhalm geklammert, der seinem Stand zur Verfügung steht - die öffentliche Bitte um Vergebung?

Sich entschuldigen zu müssen, gilt in politischen Kreisen als größtmögliche Niederlage vor dem Rücktritt. Die Mechanismen öffentlicher Reue sind dabei so archaisch wie fix vorgegeben: Mit einem schnell dahingeworfenen Sorry ist es nämlich nicht getan, notwendig ist die große Unterwerfungsgeste, die Anerkennung der eigenen moralischen Verfehlung, die Adaptierung des christlichen Schuldbekenntnisses. Für Politiker unserer Zeit gibt es keine größere Strafe - zumindest nicht auf dieser Seite des Strafgesetzbuchs.

Vom Publikum und von den Medien wird sodann erwartet, dass sie Milde walten lassen, Gnade vor Recht sozusagen - aber eben erst nach der inszenierten Büßergeste. Phrasen vom Recht auf eine zweite Chance haben nun, stilistisch bedauerlich, journalistische Hochkonjunktur. Sieger sind eben zu Großmut verurteilt.

Wehe, wenn diese Regel gebrochen wird - die Hoffnung auf den Mitleideffekt entspricht bei Politikern dem Glauben an die Wiederauferstehung im Christentum. Politiker, die einmal den Beweis ihrer charakterlichen Defizite ohne Reuebekenntnis überlebt haben, tendieren dazu, gefährlich unabhängig von dem zu werden, was über sie geschrieben wird.

Bleibt die Frage, woher die Lust an der öffentlichen Selbsterniedrigung unserer Volksvertreter rührt. Zweifellos sieht man die Mächtigen gerne stolpern, ist dies doch eine der raren Gelegenheiten, die stets versprochene Demut der Amtsträger einzufordern. Gemeinhin hat die Welt der Staatenlenker und Provinzfürsten nämlich doch wenig mit dem Alltag der Bürger gemein. Ein bisschen Selbstgeißelung wirkt da durchaus systemerhaltend.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass - rein nach den Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung - früher oder später jeder Politiker durch diese hohle Gasse kommen wird. Warum sollten wir sonst den Anspruch auf charakterliche Unfehlbarkeit an unsere Politiker zum höchsten Gut erklärt haben? Wir setzen auf aalglatte Moralapostel, andere Zeiten hatten andere Prioritäten bei der politischen Personalauswahl.