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Schuldenbremse als Mittel gegen Gesichtsverlust

Von Brigitte Pechar und Wolfgang Zaunbauer

Politik

Sondersitzung des Nationalrats brachte keine Annäherung der Standpunkte.


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Wien. Einen heftigen Schlagabtausch um die verfassungsrechtliche Verankerung der Schuldenbremse lieferten sich Regierung und Opposition am Mittwoch anlässlich der Nationalratssondersitzung zum EU-Krisengipfel. Aber auch die Koalitionsparteien schenkten einander nichts, wenn es um die Frage der künftigen Budgetkonsolidierung ging.

Dass es überhaupt zu dieser Sondersitzung gekommen ist, soll Gerüchten zufolge einen etwas skurrilen Grund haben: Seit dem Vorjahr sieht die Geschäftsordnung des Nationalrats vor, dass die Regierung zweimal "in zeitlicher Nähe zu einer Tagung des Europäischen Rates" eine Erklärung im Plenum abgibt. Darauf dürfte man diesmal schlicht vergessen haben, weshalb kurzfristig eine Sondersitzung einberufen werden musste.

Von Regierungsseite wird allerdings betont, dass die Sondersitzung durchaus geplant gewesen sei. Der Gipfel in der Vorwoche sei einer der wichtigsten überhaupt gewesen und über den müsse man logischerweise informieren, so ein Sprecher.

Seit dem Gipfel bemüht sich die Koalition, doch noch eine verfassungsrechtliche Verankerung der Schuldenbremse zu erreichen. Ein Beschluss darüber konnte am Mittwoch allerdings nicht gefasst werden, weil dazu zuvor noch ein Verfassungsausschuss hätte einberufen werden müssen. Selbst wenn, die nötige Verfassungsmehrheit hätte die Regierung nicht zusammengebracht.

An fehlendem Einsatz lag es nicht. Bundeskanzler Werner Faymann betonte in seiner Erklärung die Notwendigkeit einer Schuldenbremse, "um nicht den Finanzmärkten die Politik zu überlassen". Einem nationalen Alleingang erteilte Faymann angesichts der Krise eine deutliche Absage: "Wir müssen daran interessiert sein, dass es dem Nachbarn gut geht, sonst ist keine stabile soziale Union möglich." Ein Austritt würde "in den Abgrund", zu Massenarbeitslosigkeit und Spekulation führen. Daher brauche es "ein klares Ja zu Europa und zu einer Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik".

"Keine Spielchen"

Vizekanzler Michael Spindelegger räumte ein, dass man mit den Ergebnissen des EU-Krisengipfels der Vorwoche "keinen Schönheitswettbewerb gewinnen" werde, diese aber nötig seien. Europa kranke an Überschuldung. Wolle Österreich sein Triple-A-Rating, das es zu Recht besitze, behalten, sei ein Schuldenabbau dringend nötig. "Daran führt kein Weg vorbei", so Spindelegger.

Der ÖVP-Chef griff dabei auch die Opposition für ihre Forderungen als Gegenleistung für ihre Zustimmung zur Schuldenbremse an. Die FPÖ fordert bekanntlich eine Volksabstimmung über den Euro-Rettungsschirm und seit neuestem eine verfassungsrechtliche Verankerung von direkter Demokratie, die Grünen Vermögenssteuern, das BZÖ eine Deckelung der Steuerquote und Sanktionen bei Verstößen gegen die Schuldenbremse. Sprach Spindelegger am Dienstag nach Treffen der Regierung mit Grünen und BZÖ noch von "sehr konstruktiven Gesprächen", gab er sich am Mittwoch im Nationalrat nicht sehr verhandlungsbereit, schließlich sei man nicht auf dem Basar. Und: "Wenn das Triple-A auf dem Spiel steht, treibt man keine Spielchen mit diesem Land."

Von ihren jeweiligen Forderungen wollten die Oppositionsparteien bei der Sondersitzung freilich keinen Millimeter abweichen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der als einziger Klubobmann von der Bundesregierung nicht zu Verhandlungen über die Schuldenbremse eingeladen wurde, sondern sich mit einem informellen Treffen mit Vizekanzler Spindelegger zufriedengeben musste, nutzte seine Rede zu einem Frontalangriff auf Bundeskanzler Faymann. Dieser sei ein "Schweigekanzler, wenn es in Brüssel um österreichische Interessen geht". In Anspielung auf den sogenannten "Krone"-Brief von 2008 warf Strache Faymann Wortbruch vor, weil dieser zu keiner Volksabstimmung über Europafragen willig sei. Dass die FPÖ nicht zu den Verhandlungen eingeladen wurde, sei "lächerlich", so Strache.

Stichwort: Kaputtsparen

Die ÖVP kam bei den Ausführungen des FPÖ-Chefs relativ glimpflich davon. Als dann ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf zwar meinte, einen Abtausch mit den Forderungen der Opposition werde es nicht geben, aber "über Ihren Vorschlag für mehr direkte Demokratie sollten wir reden", deuteten dies einige Beobachter schon als baldige Neuauflage von Schwarz-Blau. Tatsächlich nahm Kopf in seinem Statement in erster Linie die SPÖ ins Visier und forderte, eine Entschuldung Österreichs mittels Sparmaßnahmen statt über neue Steuern. An vor allem linke Kritiker dieses Kurses gewandt erklärte Kopf: "Kaputtsparen - ich kann das nicht mehr hören." Selbst für den SPÖ-nahen Nationalbankchef Ewald Nowotny gebe es zum Sparen keine Alternative.

Davon musste sich auch Grünen-Chefin Eva Glawischnig angesprochen fühlen, die eben meinte, Europa werde kaputtgespart. Der Gipfel habe die Krise sogar noch verschärft. Jetzt gebe es nur noch die "Merkozy-Sparpolitik". Dabei würden die nationalen Parlamente völlig übergangen und müssten "fressen, was als Tischvorlage übrig bleibt".

BZÖ-Chef Josef Bucher kritisierte, dass die Regierung außer der Schuldenbremse kein Konzept vorzuweisen habe: "Sie sind planlos, orientierungslos und konzeptlos." Gleichzeitig warf er SPÖ und ÖVP Angstmache vor. Kein Verständnis zeigte Bucher für die Ablehnung der SPÖ (und indirekt auch der ÖVP) einer Deckelung der Steuerquote. Diese sei "grundvernünftig" und "wer dagegen ist, ist automatisch für Steuererhöhungen".

Einigung bis Jänner

Am Ende, so glaubt jedenfalls der Politologe Peter Filzmaier im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", werde es eine Einigung mit einer der Oppositionsparteien über die Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung geben. Er glaubt dass "ehestmöglich im Jänner, wenn es sich vor Weihnachten nicht mehr ausgeht" eine Sondersitzung des Nationalrats darüber befinden wird.

Je länger nämlich dieser "Zick-Zack-Kurs" dauere, desto mehr werde dem legitimen Anliegen, die Schulden abbauen zu wollen, geschadet. Die Menschen würden dies als "Kuhhandel" empfinden. Filzmaier rät allen Parteien, so rasch wie möglich zu einer Einigung zu kommen. Denn es stimme schon, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Österreicher gegenüber der Regierung misstrauisch eingestellt seien. Aber die Opposition dürfe sich darüber nicht zu sehr freuen, denn dasselbe gelte auch für sie.

Tauschgeschäfte

Die Schuldenbremsen-Debatte sei außerdem nicht mehr weg zu bekommen, weil sie auch auf europäischer Ebene geführt werde. Am besten wäre es zwar aus der Sicht des Politologen, sich per Handschlag zu einem Rahmen für die Schuldenbremse zu entscheiden und erst dann die Details auszuverhandeln. Realistischerweise würden Regierung und Opposition aber bereits vorher Abtauschgeschäfte abschließen. Da könnten etwa zwischen SPÖ und ÖVP die Studiengebühren und Vermögenszuwachssteuern abgetauscht werden. "Ich denke, dass SPÖ und ÖVP gar nicht so unfroh wären, aus ihren festgefahrenen Positionen herauszufinden." Dass etwa Studienabsolventen, die dann mehr als 3500 Euro verdienen, auf keinen Fall Studiengebühren zahlen müssten, sei nicht einmal mehr innerhalb der SPÖ mehrheitsfähig. Und dem Slogan, die ÖVP schütze die Reichen, wenn sie gegen Vermögenszuwachssteuern und somit gegen Verteilungsgerechtigkeit auftrete, habe die ÖVP auch nichts entgegenzusetzen, argumentiert Filzmaier. "Die Schuldenbremse könnte also ein Mittel für die Regierungsparteien sein, um aus festgefahrenen Positionen ohne Gesichtsverlust herauszukommen."

Aber beides - Studiengebühren und Vermögenszuwachssteuern - seien "Symbolthemen". Denn im Vergleich zu den notwendigen Einsparungen im kommenden Jahr von zwei Milliarden Euro brächten diese beiden Bereiche sehr wenig. Es sei denn, die Regierung habe den Mut, bei den Vermögen härter einzusteigen. Dann dürften bei einer möglichen Erbschaftssteuer die Freigrenzen nicht zu hoch angesetzt werden.

Zustimmung zum Sparpaket

Derzeit jedenfalls sieht Filzmaier in der Bevölkerung Zustimmung zu einem Sparpaket. "Weil für die Menschen alles noch viel zu abstrakt ist." Das Schlüsselkriterium ist für ihn die Inflation. Wenn es der Regierung gelinge, neben einer Senkung des Schuldenstandes auch die Inflation im Rahmen zu halten, könne sie sich bei den Sparmaßnahmen sehr viel leisten.

Dem widerspricht Georg Feigl, Ökonom in der Arbeiterkammer. Ob Sparmaßnahmen inflationstreibend oder inflationsdämpfend wirken, sei für die Bevölkerung nicht so entscheidend, wie deren Einfluss auf Beschäftigung und Wohlstand. Die hohe Inflation 2008 habe im Gegenteil im Krisenjahr 2009 zu hohen Lohnabschlüssen geführt. Das wiederum habe die Kaufkraft gestärkt und sich stabilisierend ausgewirkt. Eine ähnliche Wirkung erwartet Feigl auch für das kommende Jahr, für das wegen der derzeit höheren Inflation wieder höhere Lohnabschlüsse zu erwarten sind. "Wichtig sind die Einnahmen, damit die Menschen konsumieren können", sagt Feigl.