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Schuldenspiele und Blockaden

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Wer erzählt den Bürgern die bessere Geschichte zur Krise: Barack Obama oder die Republikaner?


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New York/Washington D.C. Manche mögen’s ignorant. Es sind weniger geworden im Laufe der Woche, aber angesichts der medialen Dauerberieselung zur Causa Prima ist es immer noch ein stattlicher Haufen, der sich da jeden Morgen unten an der Battery versammelt und darauf wartet, dass die Fähren ablegen. "Was? Im Ernst? Aber wir sind doch extra aus St. Louis hierhergekommen...Frechheit." Die kleine Frau und ihr großer Mann scheinen weder fernzusehen noch Zeitung zu lesen noch auf irgendeinem anderen Weg Nachrichten zu konsumieren. Entsprechend authentisch fällt ihre Empörung aus. "Das ist eine einzige Enttäuschung. Wir sind zum ersten Mal hier und vielleicht haben wir nie wieder die Chance, die Freiheitsstatue aus der Nähe zu sehen", sagt Eve, während ihr Mann sehnsüchtig rausschaut auf die Bucht, rüber zur alten Dame, die die Franzosen einst der jungen amerikanischen Nation zum Geschenk machten. Kannmanixmachen, "aber diese Politiker sollten sich was schämen. Woher kommen Sie? Europa? Österreich? Sagen Sie das den Leuten da drüben: Die amerikanischen Politiker sollten sich schämen."

New York City, an sich ein seltsamer Ort, ist in diesen frühen Herbsttagen noch ein bisschen seltsamer als sonst, seit die Regierung südlich von hier, in der Hauptstadt den Betrieb ausgesetzt und die von ihr geleisteten öffentlichen Dienste auf ein Minimum beschränkt hat. Der Tourismus bildet eine der Haupteinnahmequellen der 8,4-Millionen-Metropole und wenn von einem Tag auf den anderen plötzlich Attraktionen wie die Statue of Liberty oder das ihr gegenüber liegende Ellis Island mit seinem Immigrationsmuseum geschlossen werden, erregt das nicht nur die Gemüter von Touristen aus dem Hinterland. "Mann, das ist echt ein Witz", sagt Avon, während er seine schwer tätowierten Beine und Arme durchstreckt. Der 21-jährige lebt in der Bronx, kommt in den warmen Monaten des Jahres fast täglich hierher, um den Big-Apple-Besuchern mit seinen Breakdance-Moves die manchmal stundenlange Warterei auf die Schiffe zu verkürzen. Wie viel er und seine Crew normalerweise verdienen, will er nicht sagen. Dafür, was er angesichts des Status quo zu verlieren droht: "Wenn dieses Theater in D.C. noch lange dauert, werde ich Probleme bekommen meine Miete zu bezahlen."

Das "Theater in D.C."; der "Stillstand in der Politik, durch den alles den Bach hinunterzugehen droht"; die "verdammten Politiker, die nur an sich und den eigenen Vorteil denken und nicht ans Land"; Phrasen, die einer im Herbst der großen amerikanischen Unsicherheit täglich aufs Neue zu hören bekommt und weil das alles nichts nutzt, geht es jetzt angesichts einer legendär apathischen Öffentlichkeit nur mehr darum, wem nämliche den Großteil an der Schuld für den "Shutdown" gibt und geben wird. Fast alles spricht für die Republikaner als Sündenbock: Beim Zuschieben der Schuld, dem "Blame Game", das seit Ende dieser Woche endgültig voll in die Gänge gekommen ist, haben sie derzeit die schlechteren Karten.

Die Sturheit der Tea Party

Entsprechend müht sich der Präsident, die Geschichte so zu erzählen, wie sie auch von den meisten politischen Beobachtern gesehen wird - der "Shutdown" als Ergebnis der Sturheit einer kleinen, lauten Fraktion im Repräsentantenhaus, die seine Gesundheitsreform für Teufelswerk hält.

Dieser Tage zeigt sich so deutlich wie vielleicht nie zuvor, wie sehr Barack Obama von denen verachtet wird, die die Mehrheit der Wähler im Süden und zwischen den Küsten des Landes stellen: Lieber lassen ihre politischen Repräsentanten das Land über die Schuldenklippe springen und stoßen die Weltwirtschaft in den Abgrund, als dem Präsidenten die Chance zu geben, die USA ein winzig kleines Stück Richtung Verteilungsgerechtigkeit zu schubsen. Mit der Gesundheitsreform "Obamacare", gegen das die Republikaner mobilmachen, wollen die Demokraten dafür sorgen, dass jeder US-Bürger krankenversichert ist. Der "Affordable Care Act" ist das Herzstück der Regierungspolitik von Präsident Obama. Die Republikaner wollen mit dem "Shutdown" erzwingen, dass Obama diese Reform zurücknimmt.

Was ihm und seiner Partei in der heutigen Propagandaschlacht wenig hilft: Für die Mehrheit der Amerikaner sind die Folgen des "Shutdowns" (Details siehe www.usa.gov) noch kaum zu spüren - eine Chance, die die Reaktion nach Kräften mit öffentlichen Theatervorstellungen nützt (Forderungen nach der Wiedereröffnung von öffentlichen Spitälern und bestimmten Forschungsinstitutionen, Kriegsdenkmälern etc.).

Es wird wohl einige Wochen dauern, bis sich zeigt, welches Narrativ sich am Ende durchsetzt: Das von Obama, der gegen die Sturheit der Republikaner wettert, oder jenes der Republikaner, die meinen, der Präsident müsse nur auf ihre Forderungen eingehen und dann sei das Spektakel auch schon vorbei. Die Berater des Präsidenten sehen in den Forderungen der Republikaner nichts anderes als Erpressung, noch dazu könne man nicht Reformen, die vom Kongress bereits beschlossen wurden, auf diese Weise wieder aushebeln, argumentieren sie.

Wie widersprüchlich die Politik der Republikaner ist, illustriert nicht zuletzt das, was sich am Ufer jener Bucht abspielt, in der die Freiheitsstatue aufs Meer hinausschaut. Wenn keine Touristen kommen, zieht das die gesamte Privatwirtschaft in Mitleidenschaft; und trifft damit genau jene Kleinunternehmer, als deren Sprachrohr sich die Republikaner stets gerieren. Der Hot-Dog- und der Sandwich- und der Eisverkäufer mit ihren kleinen Karren; die Souvenir- und der Mappenverkäufer; der Buchhändler und die Modeschmuckverkäuferin; der Breakdancer und seine Crew, die sich hier ihr Brot verdienen; bis auf eine Ausnahme alles selbständige Wirtschaftstreibende. Im ganzen Land gibt es Hundertausende, die in derartigen Jobs arbeiten.

Es ist aber nicht nur innenpolitischer Schaden entstanden: Obama kann nun nicht nach Asien reisen, wo er eigentlich die Position der USA in der Pazifikregion festigen wollte. Gegenüber seinem pazifischen Herausforderer China wirken die Vereinigten Staaten derzeit alles andere als stark und entschlossen.