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Schuldig in New York

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Sie haben etwas Albtraumhaftes, Archaisches, diese wenigen Bilder, die von dem inhaftierten Dominique Strauss-Kahn im Äther kursieren. Der Mann war noch unmittelbar zuvor einer der wirklich Mächtigen dieser Welt - und von einem Augenblick auf den anderen gerät der mittlerweile zurückgetretene Chef des Währungsfonds in die Mühlen einer höheren Gewalt.


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DSK wirkt binnen weniger Tage um Jahre gealtert, seine ganze Erscheinung heruntergekommen - ein Star auf dem Weg zum Schwerverbrecher. Ein Stoff für Kafka, zumindest wenn man für den Moment die - zugegeben zentrale, alles entscheidende Frage - von Schuld und Unschuld beiseite lässt.

Für gelernte Europäer wirkt diese Unerbittlichkeit von Justiz und Polizei in den Vereinigten Staaten verstörend. Wer jemals dort mit der Polizei zu tun gehabt hat, merkt sehr schnell, dass es da nichts zu bereden gibt. Auch bei wesentlich kleineren Vergehen gibt es kein Heraus- und Herumschwindeln, wird keine Rücksicht auf die Würde des Verdächtigen genommen.

Schon gar nicht in New York. Die Stadt hat den Kampf gegen Verbrecher in den letzten Jahren zu ihrem Markenzeichen gemacht. Und Verbrecherjagd ist in den USA eine eminent politische Sache. Strauss-Kahn ist ein potenzieller Täter, den zur Strecke zu bringen sich politisch lohnt. Nicht im Sinne einer großangelegten Verschwörungstheorie, wie sie viele nun in Frankreich spinnen, sondern im viel Kleineren, Lokalpolitischen.

Die Unschuldsvermutung ist in den USA eine abstrakte juristische Idee, im Hier und Heute zählt allein die Möglichkeit der im Raum stehenden Verdächtigungen. Das vermeintliche Opfer, nicht der angeklagte Täter, hat die höhere Glaubwürdigkeit. In Österreich, in weiten Teilen Europas ist es umgekehrt.

In diesem transatlantischen kulturellen Clash liegen die Gründe für den Schockzustand, der Frankreich nach der Verhaftung und Vorführung seines Star-Politikers erfasst hat. Bis ein europäischer Politiker in Handschellen abgeführt wird, muss viel passieren, sehr viel sogar. Und selbst dann lassen sich immer noch Mittel und Wege finden, der angeklagten Prominenz Reste ihres öffentlichen Ansehens zu bewahren.

In den USA dagegen bekommen Anklagen gegen Mächtige wieder ein wenig von dem zurück, was ihnen historisch stets zu eigen war: die Schaulust der Untertanen auch optisch zu befriedigen.