Spiel: "Strukturfragen werden viel zu wichtig genommen." | Schulreform: "Wir scheuen uns, erste Schritte zu setzen." | Christiane Spiel: Zunächst brauchen wir eine Kooperation zwischen Politik, Wissenschaft, öffentlicher Verwaltung und Praxis. Nur wenn alle diese Gruppen beteiligt sind, ist die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg sehr hoch. Die wichtigen Themen sind:
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Förderung zu lebenslangem Lernen,
Frühzeitiger Ausgleich möglicher Benachteiligungen in Kindergarten und Vorschule,
Systematische Prävention von Gewalt und Förderung sozialer Kompetenz in Kindergarten und Schule,
Professionalisierung des Lehrberufs durch adäquate Aus- und Weiterbildung,
Optimierung und aktive Gestaltung der Schnittstellen im Bildungssystem,
Förderung von Wissenschaft und Forschung.
Das sind meist inhaltliche Anregungen. Sind die zuletzt vorrangig behandelten Strukturfragen nicht so wichtig?
Aus meiner Sicht wurde in letzter Zeit viel zu viel, und zwar ausschließlich, über Strukturfragen diskutiert und gestritten, und zwar immer ideologisch überlagert. Zweifellos sind Strukturfragen wichtig, aber Strukturen allein ändern nichts. Es wird über Strukturänderungen geredet, weil das nach einfachen schnellen Lösungen aussieht, die sie aber nicht sind, denn die Strukturen müssen ja mit Inhalten gefüllt werden. Ich halte daher die Professionalisierung in der Lehreraus- und -weiterbildung für ein ganz zentrales Thema, das besonders nachhaltig wirkt.
Die Ausbildung der Lehrer - hier Pflichtschule, da höhere Schule - wurde ja nicht angeglichen. Ist das auf Dauer ein haltbarer Zustand?
Ich halte das für inadäquat. Momentan ist durch die Pädagogischen Hochschulen ein Faktum geschaffen. Wenn das Faktum bleiben soll, müsste man eine systematische Kooperation schaffen, wo jeder seine Stärken einbringt, das ist ein ganz schwieriger Prozess. Eine andere Variante wäre, dass man sie in einer Form miteinander fusioniert, die für beide Seiten akzeptabel ist.
Müsste man das nicht bald angehen, da so ein Prozess lange dauert?
Wir diskutieren immer wieder über Finnland, weil es bei Pisa so gut abschneidet. Wenn man sich anschaut, wie Finnland zu seiner neuen Struktur gekommen ist, die übrigens intern sehr differenziert ist, so hat das viele Jahre gedauert. Wir scheuen uns noch immer die ersten Schritte zu setzen, denn jetzt haben wir ja mit den Pädagogischen Hochschulen ein neues Schild an Tür gesetzt. Aber wirklich neue, mit den Universitäten abgestimmte Lehrpläne stehen aus.
Ich nenne nur zwei Hauptziele der Zukunftskommission zu denen ich nach wie vor stehe: Ergebnisverantwortlichkeit der Lehrer - das heißt, ich fühle mich verantwortlich dafür, das wirklich alle Schüler jenes Wissen besitzen, das als Basiswissen definiert ist. Und zweitens: Individualisierung, was nicht heißt, jeder einzelne Schüler muss völlig anders behandelt werden, aber dass ich mich im Prinzip auf Individualität einstelle und gezielt fördere im Hinblick auf die potenzielle Leistung. Und das ist, soweit ich sehe, noch nicht aufgebaut.
Wäre eine intern differenzierte Gesamtschule das Ziel?
Ja, das, denke ich, soll das Ziel sein. Momentan haben wir ja ein System, das nicht sehr differenziert ist. Es wäre im Sinn von Gerechtigkeit, dass jedes Kind die Chance hat, eine größere Differenzierung, die für das einzelne Kind Individualisierung bedeutet, in Anspruch zu nehmen. Momentan ist es Glückssache, ob ich ein gutes Bildungsangebot bekomme. Wir wissen: Die geringsten Chancen, an die Universität zu kommen, haben Mädchen aus dem entlegenen ländlichen Bereich.
Pointiert heißt es manchmal. Wir haben ja in Österreich schon die Gesamtschule - in der Stadt heißt sie AHS und auf dem Land Hauptschule.
Ja, aber sie ist nicht differenziert genug.
Welche der am Beginn genannten Punkte haben die höchste Priorität?
Alle Themen sind wichtig, Priorität haben die mit der höchsten Nachhaltigkeit. Neben der Lehreraus- und -weiterbildung ist es sicher wichtig, Benachteiligungen möglichst früh durch gezielte Förderung ausgleichen. Damit würden wir uns auch viel ersparen.
Eine besondere Risikogruppe sind heute männliche Jugendliche aus einfachen Verhältnissen ohne intellektuelle Begabung. Sie erleben oft in der Schule permanent Misserfolge, werden zu Schul- und dann Lehrabbrechern, sind nicht fähig zu sinnverstehendem Lesen. Die sind hoch gefährdet, arbeitslos zu sein und im Extremfall in Kriminalität abzurutschen.
Das hat vielleicht auch mit der Feminisierung unseres Bildungssystems vom Kindergarten an zu tun. Möglicherweise brauchen bestimmte Gruppen männlicher Jugendlicher andere Modelle.