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Schule und Politik brauchen Kultur

Von Zoltan Peter

Gastkommentare
Zoltan Peter ist Soziologe im Bereich Kultur und Migration. 1986 flüchtete er aus Rumänien nach Wien.

Lehrkräfte sind in einem System tätig, das kaum autonom ist.


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Selbst Länder wie Österreich, die ökonomisch sowie kulturell reich genannt werden können, haben derzeit ein Orientierungsproblem. Der Grund dafür besteht darin, dass die Politik und ein großer Anteil der Wählerschaft im Vorantreiben des Wirtschaftswachstums eine geradezu mystische Zauberformel für ein gelingendes Leben sehen. Aber dagegen regt sich Widerstand. Auch die Natur begehrt inzwischen mächtig auf.

Weiters besteht ein Toleranzproblem: Ein bedeutender Anteil der Politikerinnen und Politiker sowie deren jeweilige Wählerschaft haben selbst in pluralistischen Demokratien (über die anderen gar nicht zu reden) noch nicht begriffen, dass Toleranz nur dann nachhaltig und gerecht ist, wenn sie auf schlüssige, in Grund- und Menschenrechten verankerte Argumente zurückgreift. Im Augenblick werden Dinge wertgeschätzt, abgelehnt oder geduldet, die keinerlei derartige Fundierung haben. All diese Probleme lassen sich auch im österreichischen Schulsystem finden - mit einem wesentlichen Unterschied: Lehrkräfte sind signifikant wissenschafts-, kultur- und umweltaffiner als die Gesellschaft im Allgemeinen - aufgrund ihrer Ausbildung.

Nun sind sie aber in einem System tätig, das kaum autonom ist. Daher sind Lehrkräfte äußeren Parametern ausgesetzt, die sie in ihrem Denken und in ihren Aufgaben beeinflussen. So wird auch ihnen pausenlos suggeriert, der Schlüssel zu einem gelingenden Leben bestünde in einer Anhäufung von wirtschaftsrelevanten Kompetenzen. Doch Lehrkräfte wissen: Gelingendes Leben und gelingendes schulisches Weiterkommen haben nicht nur mit Auswendiglernen und angehäuften Kompetenzen zu tun.

Um Kindern Wissen zu vermitteln, ihnen zu zeigen, welche Weltzugänge, welche Lebensformen es überhaupt gibt und welche Vorzüge beziehungsweise Tücken diese jeweils haben, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen, intakte Beziehungen und fundierte Sensibilisierungen. Doch dafür wird die Zeit immer knapper.

Eines steht fest: Hätte die Politik im Laufe ihrer Geschichte der Schule mehr Autonomie gewährt oder wenigstens die wichtigsten Erkenntnisse aller (!) Wissenschaften und Kunstrichtungen in vergleichbarer Weise in das Schulsystem integriert wie wirtschaftliches Wissen oder die Kunst der Gewinnmaximierung, dann stünden die Schule und ihr Stellenwert heute anders da. Bereits eine deutlich stärkere, didaktisch wohlüberlegte Förderung von Kulturvermittlung in der Schule, in haptischen und Sozialen Medien sowie zur TV-Hauptsendezeit (wobei Letzteres wohl bereits die geringste Rolle spielt) könnte einiges ändern. Im Moment geschieht aber genau das Gegenteil.

Es wäre daher angebracht, statt auf Godot zu warten (und am Ende wahrscheinlich völlig demoralisiert dazustehen), ehebaldigst und proaktiv eine Art Expertenpolitik zu initiieren. Denn wer wenn nicht integre Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Kunst, Religion und Medien könnten die angespannte gesellschaftliche und globale Situation verändern, hin zu einem menschlicheren, ja, herzlicheren Zustand? Ich vermute, dies täte in der jetzigen Situation allen und allem gut.