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"Schule wird sich zu einem Raum für Teams entwickeln"

Von Barbara Sorge

Politik
© © Foto: Wilke

Christian Kühn zum Zusammenspiel zwischen Pädagogik und Architektur.


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"Wiener Zeitung":Die Schule der Zukunft steht vor besonderen Herausforderungen, wie der Ganztagesbetreuung. Wie geht die Architektur damit um? Wie wird das Schulgebäude der Zukunft aussehen?Christian Kühn: Die Veränderungen gehen tiefer als nur in Bezug auf die Ganztagsbetreuung. Es geht um individualisiertes Lernen, es geht um Inklusion, und es geht um neue Unterrichtsformen in der Schule, die durch die Ganztagsbetreuung erleichtert werden. In einem durchschnittlichen Schülerleben verbringt man schon jetzt 10.000 bis 15.000 Stunden in der Schule. Durch den Ganztag werden das noch mehr, und umso besser müssen die Räume gestaltet sein.

Wie muss das Gebäude auf diese Herausforderungen reagieren?

Die Pädagogik versucht im Moment einen Paradigmenwechsel im Hinblick auf kompetenzorientiertes und individualisiertes Lernen. Es wird sehr viel stärker auf Eigenständigkeit des Wissenserwerbs gesetzt. Da gibt es einen anderen Mix von Lehr- und Lernformeln. Man wird - grob gesagt - in Zukunft 30 Prozent der Zeit im Frontalunterricht verbringen, 30 Prozent in der Kleingruppe, 30 Prozent alleine im Selbststudium und zehn Prozent wird man im Kreis der Klasse aktiv mit sozialem Lernen verbringen, um gemeinsame Anliegen regeln und planen zu können.

Damit ändern sich auch die Anforderungen an den Schulraum. Man kommt nicht mehr aus mit Klassenzimmern in der Größe von neun mal sieben Menter, sondern wünscht sich auch vonseiten der Pädagogik Dinge wie Lernstraßen und Lerninseln - unterschiedliche Räume mit unterschiedlichen Bedingungen, in denen man spezifische Lernsituationen herstellen kann.

Das hat auch insofern einen Vorteil, dass man die ganze Schule als Haus des Lernens betrachtet und diese unterschiedlichen Bereiche auch für die Ganztagsbetreuung nützen kann.

Zuerst gibt es eine neue Pädagogik, daraufhin ändert sich die Architektur der Gebäude?

Ja. Und es gibt übergeordnete Rahmenbedingungen, wie den Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft. Die Wirtschaft wünscht sich eine höhere Selbständigkeit der Mitarbeiter, die Fähigkeit, in heterogenen Teams zu arbeiten und natürlich auch selbständig Entscheidungen zu treffen. Das muss man in der Schule trainieren. Idealerweise ist die Schule heute ein Raum für Teams, mit kleineren Projekträumen, aber auch Räumen, in denen man Vorträge für 60 Teilnehmer halten kann. Auch das Unterrichten im klar getakteten Zeitrhythmus in einheitlichen Gruppengrößen, in denen alle Schüler dasselbe lernen, entspricht nicht mehr der Realität.

Wird es den Gang mit aufgefädelten Klassenräumen weiter geben?

International gibt es zum einen den Trend zu "Cluster". Große Schulen werden in kleinere Einheiten aufgeteilt, zum Beispiel vier Klassen mit einem Gemeinschaftsraum und Spezialräumen für Gruppenarbeit. Diese "Cluster" werden von einem Lehrerteam betreut. Dann gibt es den Trend zur "Bildungslandschaft", also zur Vernetzung von Bildungseinrichtungen in einem Gebiet. Da arbeitet die Volksschule mit der Bibliothek und dem Jugendzentrum zusammen.

Kann man bestehende Schulgebäude umgestalten oder braucht es durchwegs Neubauten?

Da gibt es in Österreich zwei sehr unterschiedliche Situationen. Am Land gibt es durch die demografische Entwicklung sehr oft einen Flächenüberschuss. Dort ist es natürlich leicht, bei einer Sanierung auf solche Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen und mehr Platz zu geben. Was sehr sinnvoll ist, weil es ja echte Standortnachteile sind, die zu der Abwanderung aus den ländlichen Regionen führen. Und dann kann man zumindest sagen: "Bei uns gibt es gute Schulen, die Kinder haben viel Platz und einen Auslauf."

In den Ballungsgebieten ist die Situation ganz anders. Da gibt es nach wie vor Bevölkerungswachstum, teilweise massiv wie in Wien. Hier wird es zahlreiche Neubauten geben und gleichzeitig den Druck, den Bestand zu sanieren. Dabei gibt es Sachzwänge wie den Brandschutz, die Wärmedämmung und neue Erdbebennormen, die viel Geld kosten, und es besteht die Gefahr, dass für räumlich-pädagogische Verbesserungen nichts übrig bleibt.

Zur Person



Christian Kühn

ist Studiendekan der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der TU Wien und Mitglied der OECD-Arbeitsgruppe Evaluating Quality in Educational Facilities.

Im Frühjahr erscheint der "Baukulturreport", in dem Kühn ein Kapitel zu "Bildungsbau und Baukulturvermittlung auf Schul- und Ausbildungsebene" verfasst hat.