An den Neuen Mittelschulen häufen sich weniger motivierte Schüler, an den AHS stachelt man sich an: Die zunehmende Segregation hat massiven Einfluss auf das Lernen.
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Wien. Weniger motivierte Schüler mit niedrigerer Bildung lernen unter ihresgleichen weniger gut. Bei den strebsameren Kolleginnen und Kollegen ist es genau umgekehrt. Vermischen sie sich, kann man den Bildungsgrad hinaufnivellieren. Das findet allerdings immer seltener statt, so die Analyse des Nationalen Bildungsberichts 2018 des Bundesinstituts für Bildungsforschung, der am Mittwoch präsentiert wurde. Vielmehr entmischen sich die Schüler zunehmend - es kommt zu Peereffekten.
"Bei AHS-Klassen hat diese Segregation positive Effekte, bei den Neuen Mittelschulen, den ehemaligen Hauptschulen, negative", sagte Mitherausgeber des Bildungsberichts und Bildungsforscher Ferdinand Eder. Die zunehmende Fokussierung auf Schulprofil-Schwerpunkte, das Eingehen auf Elternwünsche und das Konzentrieren der Schüler nach ihrer Herkunft und Muttersprache wirkten einer günstigeren Klassenzusammensetzung entgegen. Zum Teil ergebe sich freilich eine gewisse Segregation, weil bestimmte Neigungen Voraussetzung sind, zum Beispiel beim Schwerpunkt Informatik. "Alarmierend ist aber, dass das Schulsystem diese oft von vornherein noch verstärkt und nicht dagegenarbeitet", so Eder.
Weniger erfahrene Lehrerin schwierigeren Klassen
Dazu komme, dass Klassen mit großen Herausforderungen etwa aufgrund eines hohen Anteils an Kindern mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwächeren Familien zwar von den besten Lehrern unterrichtet werden sollten, es in der Realität aber genau umgekehrt ist: Weniger erfahrene oder fachfremde Pädagogen unterrichten dem Nationalen Bildungsbericht zufolge tendenziell öfter Klassen mit schwierigen Rahmenbedingungen.
An den Hauptschulen (für den Bericht lagen ältere Daten vor, Anm.) zeigte sich demnach ein Zusammenhang zwischen Berufserfahrung der Lehrer und der Zahl der Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache: Je höher der Anteil Letzterer, desto höher auch jener der Lehrer mit geringer Berufserfahrung. Gleichzeitig wird an Schulen mit mehr nichtdeutschsprachigen Schülern auch etwas häufiger fachfremd unterrichtet - also durch Pädagogen, die für das entsprechende Unterrichtsfach nicht ausgebildet sind. An den AHS-Unterstufen ist hingegen der Anteil der erfahrenen Lehrkräfte in Schulen mit höherem Anteil an Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache höher.
Mögliche Gründe für den Effekt an Hauptschulen: Am Beginn der Karriere könnte die Möglichkeit, benachteiligten Schülern zu helfen, eine größere Rolle spielen. Außerdem sei die Personalfluktuation an benachteiligten Schulen höher - das führe automatisch zu mehr freien Stellen für frisch ausgebildete Pädagogen, so der Bericht. Denkbar sei auch, dass Schulen mit vielen freien Stellen ihre Anstellungserfordernisse senken und deshalb zur Besetzung von Stellen auch Lehrkräfte anstellen, die fachfremd unterrichten müssen. Innerhalb von Schulen könnte das Senioritätsprinzip bei der Erstellung der Stundenpläne ebenfalls eine Rolle spielen: Berufseinsteiger bekommen die "schwierigeren" Klassen, etablierte Pädagogen suchen sich die "einfacheren" aus.
Diese Entwicklung könnte durch die neue Schulautonomie sogar verstärkt werden. Bisher funktionierte die Zuteilung der Lehrer an die einzelnen Schulen weitgehend zentralisiert über die Landesschulräte (heute: Bildungsdirektionen). Künftig sollen sich die Schulen die Lehrer vermehrt selbst aussuchen dürfen. "Somit kann es zu einer Verstärkung der ungleichen Verteilung von Lehrkraftqualität kommen", heißt es in der Studie.
Mögliche Gegenmaßnahmen wären höhere Gehälter für den Unterricht an benachteiligten Schulen, bessere Arbeitsbedingungen an diesen Standorten sowie Mentoring für Junglehrer.
Die skandinavischen Länder hätten es bereits vorgemacht, sagt dazu Bildungsexperte Stefan Hopmann zur "Wiener Zeitung". "Dort hat man, von den Kindergärten angefangen, in Problemstandorte investiert." Und zwar nicht unbedingt in finanzieller Hinsicht, sondern vielmehr, was neue Unterrichtsformen wie das Lehren in flexiblen Gruppen betreffe.
Ganztagsschule vorallem für Bessergestellte
Der Schlüssel zur Kompensation unterschiedlicher Bildungsniveaus könnte die Ganztagsschule sein. Könnte. Denn aktuell erfülle sie diesen Auftrag noch nicht, sagte Martin Netzer, Generalsekretär im Bildungsministerium. "Wo Ganztagsschulen immer schon gut verankert waren, waren die katholischen Privatschulen. Das ist unsere Ausgangslage, überspitzt formuliert, und jetzt kommen wir erst in die Breite." Tatsache ist laut Bildungsbericht, dass ganztägige Schulformen vor allem im städtischen Bereich genutzt werden - und dort hauptsächlich von Kindern höher gebildeter und beruflich bessergestellter Eltern.
In Wien zum Beispiel werden derzeit Kinder mit zwei berufstätigen Elternteilen bei der Platzvergabe bevorzugt. Damit hat man laut Eder zwar erreicht, Frauen früher in die Berufstätigkeit zurückzubringen. Es würden aber auch genau jene Familien ausgeschlossen, in denen der kompensatorische Effekt am notwendigsten wäre, so Netzer. "Wir erwischen zum Beispiel jene Familien mit Migrationshintergrund, wo die Frau zuhause ist, nicht." Diese Regelung bei der Platzvergabe soll laut Netzer mit der geplanten Novelle des Bildungsinvestitionsgesetzes, das den Ganztagsschulausbau ab 2020 neu regelt, fallen, damit der soziale Ausgleich besser gelingt.