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Schulstreit hat Tradition

Von Michael Schmölzer

Politik

Eine gemeinsame Schule für alle 10- bis 14-Jährigen oder Differenzierung in Haupt- und Mittelschule? SPÖ und ÖVP konnten zuletzt nur eine sehr schwammige gemeinsame Formel finden. Interessant ist, dass der Streit um den geeigneten Schulaufbau in Österreich nicht erst seit Bekanntwerden der PISA-Studie geführt wird. Er ist vielmehr so alt wie die Republik selbst.


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1918, als der letzte Habsburger-Kaiser abdanken musste und die demokratische Republik Österreich ausgerufen wurde, waren alle politischen Lager davon überzeugt, dass Österreichs Schulwesen reformreif sei. Die damalige Situation stellte sich folgendermaßen dar: Außerhalb der größeren Städte waren acht- oder neunstufige Volksschulen die Regel, in der schlecht ausgebildete und unterbezahlte Lehrer mehrere Klassen parallel unterrichten mussten. In den Städten existierte neben diesem Schultyp die so genannte Bürgerschule, die im Anschluss an vier oder fünf Jahre Volksschule besucht werden konnte. Damit war nach den damaligen Vorstellungen den Bildungsbedürfnissen der "breiten Masse" Genüge getan.

Der Besuch des Gymnasiums war zu jener Zeit im Vergleich zu heute sehr wenigen Kindern vorbehalten. Daneben existierten Kadettenschulen mit Internatscharakter. Robert Musil hat mit seinem "Törleß" diesem Schultyp ein literarisches Denkmal gesetzt.

Nach einem knappen Sieg der "Roten" bei den Wahlen vom 19. Februar 1919 wurde Otto Glöckel Staatssekretär für Unterricht. Er war Verfechter der "Einheitsschule" - so nannte man damals die Gesamtschule. Glöckel berief sich dabei auf demokratiepolitische Überlegungen: Allen 10- bis 14-Jährigen sollte durch Besuch eines gemeinsamen Schultyps die gleiche Chance auf Bildung eingeräumt werden. Diese Idee war übrigens keine genuin sozialdemokratische. Vielmehr waren es Abgeordnete des nationalen Lagers, die in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts die Einheitsschule erstmals andiskutierten.

"Schulbolschewismus"

Diesem Reformvorhaben standen die Christlichsozialen äußerst skeptisch gegenüber. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Radikalisierung der innenpolitischen Szenerie sprachen sie von "Schulbolschewismus" und "Gleichmacherei". Glöckels Konzepten war denn auch kein sonderlicher Erfolg beschieden, für derartige Schulreformen war damals wie heute eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament notwendig. Immerhin kam es 1927 zu einem Kompromiss: Die dreijährige Bürgerschule wurde zur vierjährigen Hauptschule umfunktioniert, die Lehrpläne der Hauptschule waren weitgehend ident mit denen der Unterstufe. Bedeutung erlangte die Hauptschule vorerst nur in den Städten.

Die schulpolitischen Interessengegensätze der Ersten Republik wurden nach 1945 wieder aktuell: Die SPÖ wollte eine "Allgemeine Mittelschule" für alle 10- bis 14-Jährigen, die ÖVP warnte vor "Einheitsbrei". Als die SPÖ in den 70er-Jahren eine Alleinregierung bildete, wurde die Aufnahmsprüfung zur AHS sistiert und die Gesamtschule da und dort als Schulversuch erprobt. Diese Versuche führten zu keinen nennenswerten Änderungen des österreichischen Regelschulwesens, wo bis heute zwischen AHS-Unterstufe und Hauptschule unterschieden wird.