Der Politologe Koschmieder erklärt, was den Wahlkampf für die SPD so schwierig macht.
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"Wiener Zeitung": In einem Monat wählt Deutschland ein neues Parlament. Die CDU liegt vorn, für die SPD sieht es mies aus. Kann man den Wahlumfragen überhaupt trauen?
Carsten Koschmieder: Die Umfragen sind sehr gut. Aus Kostengründen werden allerdings oft nicht ganz so viele Menschen befragt, vielleicht tausend. Das ist auch in Ordnung. Wenn aber dann hundert sagen, sie wüssten noch nicht, wen sie wählen, ist die Fehlertoleranz relativ hoch, besonders bei Parteien mit niedrigen Umfragewerten.
Wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass die Union die Wahl am 24. September gewinnt?
In einigen Wochen kann sich in der Politik viel ändern. Es muss also nicht bedeuten, dass CDU und CSU dann immer noch vorn liegen - auch wenn das wahrscheinlich ist. Ich würde aber auf keinen Fall sagen, dass die Wahl verloren ist oder man mit dem Wahlkampf aufhören kann.
Warum aber steht die SPD gar so schlecht da?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Historisch gesehen schneidet die SPD immer schon schlechter ab als die CDU. Die SPD hat eine weniger breite Basis. Wenn wir die Parteien-Identifikation betrachten, welcher Partei sich Wähler also zugehörig fühlen oder welcher Partei sie bei den letzten drei Wahlen ihre Stimme gaben, dann sieht es für die CDU immer schon deutlich besser aus als für die SPD - mit zwei Ausnahmen: Die Wahlen, die Willy Brandt und Gerhard Schröder für die Sozialdemokraten gewonnen haben. Schröder hat die 16-jährige Kanzlerschaft Kohls klug aufgenommen mit dem Slogan "Es reicht". Das Programm war mit den Themen Wirtschaft, Innovation und soziale Gerechtigkeit gut gemacht, und Schröder war so ein Macher-Typ.
Wie ordnen Sie in diesem Zusammenhang Martin Schulz, den Kanzlerkandidaten bei dieser Wahl, ein?
Viele Wähler haben bei Kanzlerin Angela Merkel das Gefühl, dass sie das schon ganz ordentlich macht. Schulz ist einfach nicht so beliebt. Und bei jeder Wahl gilt das bekannte Prinzip: Es werden nicht Herausforderer gewählt, sondern Regierungen abgewählt. Die SPD hat ja ohnehin einen strukturellen Nachteil.
Wie kann sie dann gewinnen?
Die SPD kann nur punkten, wenn sie ein ganz besonders gutes Programm hat oder ganz besonders gute Personen. Das aktuelle Programm reißt aber niemanden vom Hocker. Das Thema Gerechtigkeit steht für viele nicht im Mittelpunkt, das Flüchtlingsthema dagegen schon. Und hier sehen die Wähler die Kompetenzen eher bei der Union, die das Thema auch noch mit der inneren Sicherheit verbindet.
Welche Rolle für das schlechte Abschneiden der SPD spielt die Tatsache, dass dank der Sozialdemokratie viele Arbeiter sozial aufgestiegen sind?
Es wäre verkürzt zu sagen: Der SPD geht es in erster Linie deshalb nicht so gut, weil ihr goldenes Zeitalter vorbei ist, weil aus Arbeitern Aufsteiger wurden. Man darf auch nicht vergessen, dass es noch in den 1970er Jahren keine Grünen gab, die der SPD in die Quere kamen, in den 1980er Jahren gab es noch keine Linkspartei. Es gibt keine Zwei-Parteien-Dominanz mehr.
Welche Rolle spielt hierbei nun die rechtspopulistische AfD?
Rechtspopulistische Parteien in Europa sind mit wenigen Ausnahmen als wirtschaftsliberale Parteien gestartet. Seit den 1990ern gibt es einen Schwenk hin zu einer sozialstaatlichen Ausrichtung. Damit konkurrieren Rechtspopulisten mit den klassisch sozialdemokratischen Parteien.
Eine Zusammenarbeit mit der AfD wird jedenfalls vehement ausgeschlossen.
Die AfD radikalisiert sich gerade. Das heißt: Es ist unwahrscheinlich, dass sie größer wird, möglicherweise kurzfristig in einer Ausnahmesituation, wenn beispielsweise wieder viele Geflüchtete kommen. Der harte Kern macht sieben oder acht Prozent aus. Für die anderen Parteien ist es damit im Moment leicht, eine Zusammenarbeit abzulehnen. Sollte sich die AfD aber mit zehn Prozent oder mehr etablieren, dann glaube ich nicht, dass sich deutsche Politiker anders verhalten als anderswo und in diesem Fall eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten weiterhin vehement ablehnen.
Wie wichtig ist der Wahlkampf im Netz?
Überhaupt nicht.
Das ist überraschend, besonders wenn man an die Wahlkämpfe der US-Präsidenten Donald Trump oder Barack Obama denkt.
Obama hat das Internet genutzt, um seine Leute zu vernetzen - und die sind dann offline von Tür zu Tür gegangen. Es gibt keine Untersuchung, die bestätigen würde, dass Wähler durch Direct-Mailing dazu gebracht werden, ihre favorisierte Partei nicht zu wählen. Der Online-Wahlkampf bringt ein bisschen Aufmerksamkeit und hilft dabei, die eigenen Anhänger zu mobilisieren.
Am besten ist also der direkte Kontakt, der klassische Spaziergang durch die Fußgängerzone?
Es reicht natürlich nicht, nur durch die Fußgängerzone zu gehen und Rosen zu verteilen. Der folgende Satz klingt abgedroschen, aber es ist eben so: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Es geht darum, drei Jahre lang gute Politik zu machen, gute Leute. Und was der Politiker macht, muss auch zu seiner Persönlichkeit passen. Drei Jahre lang nichts mit Twitter und Bratwurst zu tun gehabt zu haben und dann im Wahlkampf ständig Bilder zu twittern, auf denen man sich volksnah mit einer Bratwurst gibt, das funktioniert nicht.
Carsten Koschmieder lehrt an der Freien Universität Berlin und forscht insbesondere zu politischen Parteien in Deutschland.