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Schüsse am Brandenburger Tor?

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

"Das ist ein Kick, wenn du auf dieser Straße läufst, wo sonst nur Autoverkehr kommt. Das gibt dir ein Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen", schwärmt ein Berlin-Marathon-Läufer.


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Es wird wieder geschossen am Brandenburger Tor. Morgen, Sonntag, Punkt 9 Uhr wird der Trainer der deutschen Fußball-Mannschaft, der 48-jährige Joachim "Jogi" Löw, den Schuss abgeben. Kaum wird es gekracht haben, wird sich die Bevölkerung einer mittleren Stadt in Bewegung setzen. Rund 50.000 Menschen laufen, walken oder rollen durch Berlin, um zwei bis sechs Stunden später nach dem 42,195 Kilometer langen Rundkurs durch die deutsche Hauptstadt wieder am Ausgangspunkt zu landen.

Zum 35. Mal geht der Berlin-Marathon vor der eindrucksvollen Stadtkulisse über die Bühne. Der Sieger des allerersten Laufes von 1974, inzwischen 66 Jahre alt und Rentner, aber immer noch Läufer, wird auch heuer wieder mit am Start sein.

Zeitlich gestaffelt, starten nach den 40.827 Läufern und Power-Walkern die 7685 Inline Skater sowie 34 Rollstuhlfahrer und 166 Handbiker, die gleichfalls über die gesamte Distanz flitzen. Die Jüngsten haben ihn allerdings schon hinter sich, den "Mini-Marathon" vom Freitag, der über eine Strecke von 4,2 Kilometer führte.

Die halbe Stadt ist auf den Beinen; wer nicht mitläuft, schaut zu und jubelt - am dichtesten gedrängt am Ku´Damm. Bewaffnet mit Plakaten, Fahnen, Hupen und Tamburinen, feuern die Million Schaulustigen die Teilnehmer an. In diesen Stunden ist es ratsam, das Auto daheim zu lassen und sich per pedes oder per "Öffis" auf den Weg zu machen. Denn der Massenlauf ist nicht nur das größte Sport-Event der Bundesrepublik, sondern auch ein Volksfest. So spielen entlang der Laufstrecke rund 60 Bands, Combos und Orchester. Für besondere Stimmung sorgen als Hexen, Clowns und Wikinger verkleidete Sportler. Legendär sind inzwischen auch die Abschluss-Parties.

Ein Ereignis der Superlative. Rund 6000 Helfer verteilen: eine Million Trinkbecher, 272.000 Sicherheitsnadeln, 145.000 Bananen, 90.000 Programmhefte, 80.000 Kekse, 45.000 Äpfel, 10.000 Joghurtdrinks, 7,5 Tonnen Nudeln sowie 250 Liter Massageöl. Die Schwämme zur körperlichen Erfrischung der Athleten sind genau abgezählt, denn jeder muss mit "seinem" Schwamm das ganze Rennen auskommen. Dafür winken dann zum Abschluss drei Tonnen Medaillen!

Dabei hatte alles bescheiden begonnen: Am 13. Oktober 1974 starteten 286 Läuferinnen und Läufer den Parcours, der entlang der Avus durch den Grunewald führte. 1981 wird der Berlin-Marathon in die Innenstadt verlegt. Die Teilnehmerzahl explodiert: Waren es 1980 noch 363 Teilnehmer aus sechs Nationen, gehen ein Jahr später bereits 3486 Läufer aus 30 Nationen an den Start. Rund 250.000 Zuschauer begleiten den Wettkampf. Im gleichen Jahr nehmen erstmals auch Rollstuhlfahrer teil. Der blinde Werner Rahert läuft den Marathon 1984 in 2:35:12 Stunden. 1997 kommen die Skater dazu, ab 2001 die Powerwalker und ab 2004 die Handbiker. Mittlerweile gehört Berlin neben Boston, London, Chicago und New York zu den "World Marathon Majors".

Star des Laufes wird auch in diesem Jahr wieder der Äthiopier Haile Gebrselassie sein. Er stellte im Vorjahr auf seiner "Lieblingsstrecke" den Weltrekord über 2:04:26 Stunden, den zu knacken er sich für heuer vorgenommen hat.

Eines der liebenswürdigsten Rituale: Vor dem Start müssen die Läufer dick angezogen sein, um sich warm zu halten. Dann ziehen sich die Teilnehmer schnell aus und lassen ihre Kleidung auf der Straße liegen. Unter Obdachlosen ist dies längst bekannt, sie holen die übrig gebliebenen Sporthosen und Trainingsjacken ab.