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Schüssel auf den Spuren von Blair

Von Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Was ist vom Ratsvorsitz zu erwarten? | Wege aus der EU-Vertrauenskrise. | Straßburg. An seinem Vorgänger wird er sicher gemessen. Wenn Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel morgen, Mittwoch, dem EU-Parlament in Straßburg das Programm der Ratspräsidentschaft vorstellt, werden etliche Abgeordnete an den britischen Premier Tony Blair denken. Dieser hatte vor einem halben Jahr mit einem Bekenntnis zu Europa und einem Aufruf zu Reformen für Begeisterung gesorgt - die sich aber im Laufe des britischen Ratsvorsitzes deutlich gelegt hat.


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Was Schüssel sagen sollte, wissen viele Parlamentarier schon jetzt. Sie wünschen sich von Österreich Engagement für den Ratifizierungsprozess der EU-Verfassung sowie Ideen zur Überwindung einer Vertrauenskrise, die Europas Bevölkerung die EU so skeptisch sehen lässt wie selten zuvor. Auch möchten sie mehr Geld für die Union: Am 23. Jänner beginnen die Verhandlungen mit dem EU-Parlament über den Finanzrahmen für die Jahre 2007 bis 2013. Denn den im Dezember des Vorjahres von den Staats- und Regierungschefs vereinbarten Finanzkompromiss lehnt die Mehrheit der Parlamentarier ab.

Hohe Erwartungen mit Abstrichen

Die Erwartungen an ihr Land sind hoch, wissen auch österreichische EU-Abgeordnete - und verweisen gleichzeitig auf die Grenzen für einen Ratsvorsitz. Es wird ein schwieriges Halbjahr werden, sagt etwa Othmar Karas, der wohl im Februar von Ursula Stenzel die Leitung der ÖVP-Delegation im EU-Parlament übernimmt. Immerhin stehen alle wichtigen Themen - von der Finanzierung der Union über die Dienstleistungsrichtlinie bis hin zur EU-Verfassung - weiterhin auf der Agenda. Dabei müssen Kompromisse mit anderen EU-Staaten sowie Kommission und Parlament erzielt werden. "Österreich hat den Vorsitz in einer EU-Institution - und hat daher primär eine Koordinierungs- und Initiativenfunktion", erklärt Karas.

"Selbst wenn es eine sehr engagierte Präsidentschaft wird, braucht es 24 andere Staaten dazu", stellt SPÖ-Delegationsleiterin Maria Berger fest. Auch sie zählt die Verhandlungen über den Finanzrahmen sowie die Verfassungsdebatte zum Pflichtprogramm für Österreich. In beiden Fällen gibt es Differenzen. So fordern die EU-Abgeordneten nicht nur in finanzieller Hinsicht sondern auch bei der Verfassung größeres Engagement als die EU-Staats- und Regierungschefs bisher an den Tag gelegt haben.

Da Österreich sowieso vor gewaltigen Aufgaben stehe, seien große Visionen nicht zu verlangen, findet wiederum der Grüne Abgeordnete Johannes Voggenhuber. Dennoch wünscht er sich einen "neuen Geist in der Europa-Debatte". Brüssel sollte nicht mehr "als Sondermülldeponie ungelöster nationaler Probleme" genutzt werden: Anstatt die Schuld für ungeliebte Entscheidungen auf die EU zu schieben, sollten die Staats- und Regierungschefs in ihren Ländern klar machen, was der Nationalstaat nicht mehr machen kann.

Zwar sei ein kleines Land besser als ein großes dafür geeignet, Europa und seine Bevölkerung aus der derzeitigen Vertrauenskrise zu führen, meint Voggenhuber. Doch bleibe die Frage, ob Ratspräsident Schüssel diese Chance nutzen werde - obwohl sein Koalitionspartner weit EU-skeptischere Töne anschlägt und im Herbst die Nationalratswahl ansteht