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Palästinensische Landeigentümer | von ihrem Besitz ausgesperrt.
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Tel Aviv. Ariel ist die viertgrößte israelische Siedlung im Westjordanland und schneidet 17 Kilometer weit in das Palästinensergebiet hinein. Von Israel als Stadt anerkannt, nach internationalem Recht jedoch illegal, ist die 18.000 Einwohner-Siedlung von Tel Aviv gemütlich per Autobus zu erreichen. Dabei fährt der Bus über die Grenze ins Palästinensergebiet durch eine sogenannte Siedler-Arterie, zu der Palästinenser nur sehr beschränkt Zugang haben. Ihr vorrangiger Zweck: Sie soll die Kolonien im Westjordanland mit dem israelischen "Festland" verbinden. Während im Bus hebräische Musik aus den Lautsprechern tönt, scheinen die Fahrgäste in einer Parallelwelt zu sinnieren, in der die vorbeiziehenden Minarette der Moscheen keinen Platz finden.
In Ariel angekommen führt ein Taxi durch das nördliche Westjordanland in die Militärbasis "Shomron", zu einem Treffen mit dem Kommandanten einer Elite-Kampfeinheit der israelischen Armee. Im selben Taxi sitzt eine 18-jährige Israelin, die ihren Freund in der Basis besucht. Es entsteht eine hitzige Diskussion. "Irgendwann wird der Messias kommen. Die Torah besagt, dieses Land gehört uns Juden", sagt die junge Frau selbstbewusst. Doch der Fahrer widerspricht ihr: "Verstehe mich nicht falsch, ich bin ein Likudnik", meint er, und bekennt sich damit als Wähler der konservativen nationalistischen Partei "Likud" von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. "Aber hier im Herzen der palästinensischen Dörfer muss man nicht siedeln. Will ich hier leben? Nein. Du etwa?", sagt er zu dem Mädchen. "Ich will schon hier leben, sehr gern. Was ist der Unterschied, hier oder da, Osten oder Westen. Es ist ohnehin unser Land", meint sie.
Während die rund 310.000 israelischen Siedler im Westjordanland oft in einen Topf geworfen werden, ist ihr Selbstbild sehr unterschiedlich. Der Fahrer aus Ariel sieht sich selbst nicht als Siedler, denn immerhin ist Ariel in Israel als Stadt anerkannt, auch wenn es im besetzten Palästinensergebiet liegt. "Die Siedler" sind für ihn hingegen jene, die in kleinen, oft nicht-genehmigten Siedlungen auf strategisch wichtigen Hügeln leben. "Im Herzen der palästinensischen Dörfer", wie er sagt. Eine dieser Siedlungen ist Itamar, das "Dorf" zu deren Schutz die Militärbasis "Shomron" existiert. Es ist eine vom Staat subventionierte Hügelsiedlung mit rund 600 Einwohnern, nur wenige Kilometer von der palästinensischen Stadt Nablus entfernt. Im Umland von Itamar leben weitere 500 Siedler in kleinen Ansiedlungen auf insgesamt 300 Hektar Land, wovon die Hälfte des besetzten Landes palästinensische Eigentümer hat, denen der Zugang jedoch verwehrt wird. Die meisten Siedler von Itamar sind Bauern, wie auch ihre palästinensischen Nachbarn. Doch sie trennt ein markanter Unterschied: Die Siedler stehen unter dem Schutz einer elitären Kampfeinheit der israelischen Armee. Die Palästinenser unter deren ständiger Überwachung.
Einsatz nach Mord an Siedlerfamilie im Jahr 2011
Gute zehn Minuten dauert der Fußmarsch in der Mittagssonne durch die Militärbasis bei Itamar. Am Eingang zu den Containern der Eliteeinheit schmücken schwarz-rote Banner das Territorium der uniformierten Kämpfer. Die Soldaten hier wurden vor zwei Jahren zu einem ganz bestimmten Zweck hergeholt: Der Schutz von Israelis in der Gegend um Itamar.
"Wir lieben Österreich", sagt der Kommandant grinsend und knallt eine Handfeuerwaffe der österreichischen Firma Steyr-Mannlicher auf den Tisch. "Wir sind eine Eliteeinheit, die hierher gebracht wurde, nachdem eine Menge böse Dinge passiert sind." Im März 2011 ist ein palästinensischer Mörder in das Haus einer Familie in Itamar eingebrochen und hat die Eltern und ihre drei Kinder mit einem Messer getötet. "Heute wissen wir, sobald hier jemand etwas Böses vorhat. Wir holen uns die bösen Männer, bevor sie was anstellen können." Konkret bedeutet das oft die Einschüchterung und Überwachung von "Verdächtigen". Ein kurzer Ausflug ins Umland soll Aufschluss bringen.
Der Kommandant manövriert den gepanzerten Geländewagen durch die raue Landschaft zu einem strategischen Aussichtspunkt, ständig besetzt durch einen Späher. "Das ist Beit Furik, ein großes böses Dorf", sagt der Kommandant und deutet auf die Häuser des Palästinenserdorfes ins Tal hinunter, wo rund 11.000 Menschen leben. Immer wieder seien Angriffe von dort aus durchgeführt worden. Deshalb steht die Bevölkerung unter ständiger Überwachung. Vier Späher blicken rund um die Uhr auf das Dorf hinab. Dazu kommt ein ständiger Informationsfluss aus Geheiminformationen, sogenannter "Intelligence".
"Eine Menge Augen sind auf die Menschen dort gerichtet", sagt der Kommandant stolz. Nur, was genau ist verdächtig? Beobachte er etwa, dass eine Gruppe Jugendlicher am Dorfrand zusammenkommt, dann sei das verdächtig genug. "Wir überwachen das Dorf 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Leute die Probleme machen, wird ein Besuch abgestattet, oder sie werden in die Basis mitgenommen. Alles Weitere müsse geheim bleiben.
Dass er und seine Soldaten hier sind, um illegale Siedlungen zu beschützen, ist für den Kommandanten kein Problem. "Das ist mir egal. Ich habe meine Befehle und nicht mehr. Angesichts vergangener Gewalttaten scheint für die israelische Armee rund um Itamar klar, dass Palästinenser die "bösen Männer" sind. Dennoch bemüht sich der Kommandant Ausgeglichenheit zu vermitteln: Wir wollen das Leben für beide Seiten ruhig halten. Das Problem ist Vakuum zwischen Siedlern und Palästinensern: Wenn irgendwo Vakuum entsteht, greifen wir ein. Dass die Siedlungen selbst und die Militärpräsenz im besetzten Palästinensergebiet mit Schuld an den Spannungen sein könnten, scheint aus Sicht des Militärs keine Rolle zu spielen.
Schon seit 1996 attackieren Siedler aus Itamar immer wieder palästinensische Dorfbewohner, deren Tiere, Infrastruktur und Landwirtschaftsflächen. In mehr als 90 Prozent der Fälle bleiben die Taten ohne strafrechtliche Folgen. Als kleine Kolonie extremistischer Siedler umgeben von palästinensischen Dörfern war Itamar zur Zeit der Zweiten Intifada (2000-2006) aber auch ein leichtes Ziel für palästinensische Angriffe: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schreibt in einem Bericht, dass zwischen 2000 und 2007 vermutlich 15 Siedler in der Gegend Itamar von Palästinensern getötet wurden, sowie ein Palästinenser von Siedlern, als er gestohlenes Vieh zurückholen wollte.
"All das kann jederzeit explodieren"
Was der Kommandant genau meint, wenn er von "Vakuum" spricht, erklärt er vor dem 150-Seelen Dorf Yanun tief im Talgraben unter der Siedlung Itamar. "Schließ deine Augen und stell dir vor, das hier wäre Italien. Und jetzt vergiss es wieder. All das kann jederzeit explodieren."
Vor zwei Wochen habe ein Palästinenser aus Yanun 300 Leute aus naheliegenden Dörfern hergerufen, nachdem ein Siedler offenbar sein Vieh gestohlen hatte. In einem anderen Dorf habe er jüngst Waffenhändler aufgespürt. "Wir sind nicht nur hier um Siedler zu schützen, sondern auch um die Balance aufrecht zu erhalten", meint er zum Schluss. Doch anstatt einer ausgeglichenen Balance erscheint die von Israel besetzte Zone um Itamar wie ein Mikrokosmos der totalen Überwachung und Kontrolle, die in Israels Politik gegenüber den Palästinensern zur Normalität geworden ist. Und letztlich alles zu einem Zweck: Um die politisch motivierten und strategisch wichtigen Außenposten israelischer Siedlungen zu schützen. Oft um jeden Preis.