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Die blutigen Attacken radikaler Islamisten auf Ägyptens Kopten verraten, was "Ungläubigen" in islamischen "Gottesstaaten" widerfährt.
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"Bekämpft jene, die weder an Allah noch an den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter verboten haben, und sich nicht zur wahren Religion bekennen. Bekämpft sie so lange, bis sie demütig ihren Tribut entrichten." Dieser Satz aus dem Koran (Sure 9, Vers 29) gilt für die Dhimmi, die sich seit dem 7. Jahrhundert als Nichtmuslime in einer islamischen Gesellschaft mit einer beträchtlichen Kopfsteuer als "Schutzbefohlene" das Recht erkaufen konnten, unauffällig nach ihrer Religion zu leben. Aber der Bau von Gotteshäusern war ihnen strikt untersagt.
Diese überholte Norm spielt noch immer eine Rolle bei jenen radikalen Islamisten, die in Kairo an den jüngsten blutigen Angriffen auf die koptische Minderheit und am Brandschatzen koptischer Kirchen teilgenommen haben. Neu sind Angriffe auf Kopten nicht - neu war hingegen, dass Kopten wie Muslime gemeinsam auf dem Tahrir-Platz gegen den Diktator Hosni Mubarak demonstrierten und im Februar gewaltfrei seinen Sturz erzwangen, damit sie endlich in Freiheit leben könnten. Nach dem Sieg der Revolution in Ägypten flüchteten jedoch mehr als 100.000 der schätzungsweise sechs Millionen Kopten aus dem Land. Ahnten sie, was sich dann anbahnte?
Die siegreiche ägyptische Revolution hat sichtlich überzogene Erwartungen nicht erfüllt. Es sind weder eine rechtsstaatliche Demokratie noch gar materieller Fortschritt vom Himmel gefallen. Und eine demokratische Verfassung soll allenfalls Ende 2012 in Kraft treten. Hinzu kommt, dass die ägyptische "Entnazifizierung" kaum funktioniert und ehemalige Günstlinge des gestürzten Diktators Mubarak immer noch auf wichtigen Posten sitzen. Die Teuerung noch eingerechtet, dann ist der wachsende Stau an Frust verständlich. Dieser Zustand drängt auf Entladung. Und die Kopten sind seit jeher Blitzableiter.
Anzeichen sprechen dafür, dass Teile der herrschenden Militärs die Entladung der Volkswut gesteuert haben. Diese Taktik haben schon lateinamerikanische Generäle ausgezeichnet beherrscht: Man unterwandere illegale Oppositionsgruppen, zettle Unruhen an und schüre den "Volkszorn" bis zu jenem Punkt, an dem das Chaos geradezu nach einem "starken Mann" schreit. Dieser "macht" dann seine "Revolution", schafft Ordnung und sichert sie mit korrumpierten Armeen und Geheimpolizei ab. Diese Taktik erlaubt es dann sogar, jede demokratische Opposition als Unruhestifter zu diffamieren. So geschehen unter anderem in Peru 1948, in Venezuela 1952, in Brasilien 1964, in Chile 1973 oder in Argentinien 1976. In allen diesen Fällen zeigte sich, wie mühsam und zeitraubend die Demokratisierung nach dem Sturz der Tyrannen verläuft.
Die Ägypter haben ihren Diktator gestürzt. Nun erleben oder erleiden sie die lange Durststrecke eines Volkes, das demokratische Umgangsformen erst noch lernen muss und deshalb demokratische Willensäußerung nicht kennt. Folglich steht zu befürchten, dass in diesem Chaos radikale Islamisten erfolgreich fischen. Das aber böte machtlüsternen Generälen die Chance, wieder einmal "Ordnung" zu schaffen.