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Schwäbische Spanier

Von Alexander Dworzak aus Tuttlingen

Politik

María Asín verließ 2012 mit Mann und Kindern das krisengeplagte Spanien. 2013 besuchte die "Wiener Zeitung" sie erstmals in ihrer neuen Heimat Baden-Württemberg. Nun hilft María Flüchtlingen in Deutschland.


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Tuttlingen. Die zurückhaltende Frau von früher ist gewichen. Als María Asín die "Wiener Zeitung" im September 2013 zu sich lud, sprach sie ruhig, die Hände lagen im Schoß. Das Gespräch wechselte zwischen Deutsch und Englisch, gelegentlich flossen spanische Brocken ein. Zweieinhalb Jahre später gibt es wieder Kaffee und Kekse, wieder auf der aus Spanien mitgebrachten grauen Couch. María ist vergnügt, ihre Stimme überschlägt sich beinahe, unentwegt gestikuliert sie mit ihren Händen. Die 40-Jährige spricht mittlerweile praktisch fehlerfrei Deutsch. "Vor neun Monaten habe ich in der Firma zum ersten Mal auf Deutsch telefoniert, davor nur auf Englisch. Das ist supertoll!"

Hart war die Zeit davor für María Asín und ihre Familie. 2012 beschlossen sie und ihr Mann Jon, Spanien den Rücken zu kehren. Obwohl beide Ingenieure einen Job hatten, sahen sie keine langfristige Perspektive mehr im südeuropäischen Land. Und erst recht keine Perspektive für die drei Söhne Martín, Pedro und Yago. Mehr als 5,5 Millionen Spanier waren damals ohne Job, die Arbeitslosenquote betrug um 25 Prozent.

Gleichzeitig suchten Unternehmen aus Baden-Württemberg händeringend nach Fachkräften. In der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg schlossen sich Vertreter von Wirtschaftsförderung, Arbeitgeberverbänden, Kammern, Gewerkschaften und Bildung sowie der Agentur für Arbeit zu einer Fachkräfteallianz zusammen. 100 spanische Ingenieure wurden im Juni 2012 zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. María fand einen Job bei einer Medizintechnik-Firma. Dort ist sie noch immer angestellt, zwischenzeitlich ins Marketing gewechselt.

Zu viele Pianisten im Haus

Aus dem nordspanischen Pamplona zogen sie ins schwäbische Tuttlingen, 560 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt. Hier fließt die Donau als schmaler Strom. Rasant pocht dagegen das Herz des vielgerühmten deutschen Mittelstands: Die 34.000-Einwohner-Stadt bietet knapp 22.000 Arbeitsplätze und bewirbt sich und seine rund 400 Firmen in der Medizintechnik als "Weltzentrum" der Branche.

"Wir haben Freunde gefunden, neben Deutschen auch Spanier, die ebenfalls einen Neuanfang gewagt haben. Die Deutschen sind sehr treu: Bist du mal mit ihnen befreundet, bleibst du es", erzählt María. Sie verhehlt jedoch nicht, dass ihr Heimat und Familie noch immer ebenso abgehen wie Tapas - und sie die sonntägliche Leere in Tuttlingens Straßen irritiert: "Wo sind die Kinder? Das hat mich Yago früher gefragt."

Wie seine beiden Brüder spricht der Sechsjährige ausgezeichnet Deutsch. Daheim wird weiterhin Spanisch gesprochen. Seit vergangener Woche nimmt Yago Geigenunterricht. Warum ausgerechnet dieses Instrument? María lacht auf: "Wir haben zu viele Pianisten im Haus." Martín und Pedro nehmen Klavierstunden, das Klavier haben die Eltern aus Pamplona mitgenommen. Der zwölfjährige Martín trainiert zwei Mal pro Woche im Tuttlinger Fußballverein. Pedro, der demnächst neun wird, bereitet sich derzeit auf seine Erstkommunion vor. Er trägt beim Besuch gleich zwei Utensilien des FC Bayern: rote Socken mit Clubemblem und ein Schweißband des Fußballvereins.

Einstellung und Glück

Beruflicher Erfolg und soziale Einbindung: María und ihre Familie sind ein Paradefall gelungener Integration. Sie hat hart dafür gearbeitet, anfangs drei Mal pro Woche einen Deutschkurs besucht und zusätzlich täglich daheim geübt. Später saß sie montags und mittwochs im Kurs, während Jon dienstags und donnerstags ging. "Wir haben uns kaum noch gesehen. Daher mache ich dieses Jahr Urlaub vom Sprachkurs", meint María. Sich anzustrengen reiche ihr zufolge dennoch nicht: "Deutschland ist nicht so einfach. Man braucht zur richtigen Einstellung auch Glück, zum Beispiel mit den Nachbarn oder Arbeitskollegen."

Von 19 Personen, die über das Ingenieursprogramm engagiert wurden, seien 12 in Deutschland geblieben, sagt Cornelia Lüth von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Schwarzwald-Baar-Heuberg; dazu kamen vier derer Partner, ebenfalls Fachkräfte. Lüth
berichtet von einem Schneeballeffekt, Stellenanfragen aus Russland oder Frankreich trudelten ein. Die Kommunen wissen, was an den ausländischen Mitarbeitern haben - und dass sie ihnen ob der globalen Konkurrenz etwas bieten müssen. Ein guter Job alleine genügt nicht, das Umfeld muss ebenfalls stimmen. Freizeit- und Vernetzungsprogramme gibt es ebenso wie Ehrenamtliche, die sich der Zugezogenen angenommen haben.

Dieses soziale Netz hilft nun auch in Zeiten der Flüchtlingskrise. María hat Kleidung sortiert, dabei auch Flüchtlinge persönlich kennengelernt. Am Tag des Treffens mit der "Wiener Zeitung" ist sie mit anderen Ehrenamtlichen zum Essen in der Pfarre eingeladen, als kleines Dankeschön. "Ich bin Ausländerin, ich kann mich doch nicht anderen verwehren", meint María energisch.

Tuttlingen leidet unter Köln

438 Flüchtlinge sind derzeit in Tuttlingen untergebracht, 83 davon stammen aus Syrien. "Der Islam macht der großen Mehrheit der Tuttlinger keine Angst", sagt Petra Demmer. Stolz verweist die Integrationsbeauftragte Tuttlingens auf den Bau einer Moschee im Zentrum der Stadt - mit Minarett, dafür ohne Gegenstimme im Gemeinderat. Auch die Grundstimmung in der Bevölkerung sei generell eher ruhig - trotz der relativ hohen Zahl an Hinzugekommenen. Bei 17 Prozent lag der Ausländeranteil in der Stadt bereits Mitte vergangenen Jahres, 38 Prozent der Bürger hatten Migrationshintergrund. Durch die Flüchtlingskrise haben sich die Anteile weiter erhöht. "Massive ausländerfeindliche Tendenzen gibt es nicht - auch Demos von Gruppen wie Pegida finden nicht statt." Demmer verschweigt jedoch nicht, dass die Vorfälle von Köln in der Silvesternacht auch in Tuttlingen Folgen hatten: "Bei manchen sind die Ängste seither gestiegen, und manchmal müssen sich ehrenamtliche Flüchtlingshelfer für ihr Engagement rechtfertigen."

Tuttlingen steuert gemeinsam mit der Polizei gegen, klärt etwa über Rechtsextremismus und Islamismus in Schulen auf. In Cafés können Flüchtlinge mit den Bürgern ins Gespräch kommen, weitere Begegnungsmöglichkeiten sollen geschaffen werden. Auch fördert die Stadt seit längerem Integration über Sport, etwa mit einem Fußballturnier. Neben Freizeitaktivitäten sollen Sprachkurse die Flüchtlinge beschäftigen - und damit vor Langeweile und extremistischen Gruppen schützen.

Der zu erwartende Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am Sonntag bereitet María weniger Kopfzerbrechen als der Aufstieg des französischen Front National. Jon, der ruhig und nachdenklich wirkend dem Gespräch folgt, schaltet sich ein: "Wir brauchen mehr Europa, weniger Spanien oder Deutschland. Wir müssen einen Weg zu einem stärkeren Europa finden. Wie, das weiß ich nicht." Damit ist er dieser Tage nicht alleine.