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Schwache Deutsche helfen keinem

Von Christian Ortner

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Christian Ortner.

Deutschlands enorme Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen, wie das oft gefordert wird, würde nicht zuletzt Österreich erheblichen Schaden zufügen.


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Wenn Demonstranten in Athen oder Madrid ihrem Unmut über ihre vermeintliche ökonomische Drangsalierung durch die Deutschen bildhaft Ausdruck verleihen wollen, pflegen sie der deutschen Kanzlerin auf Protestplakaten das charakteristische Hitler-Bärtchen zu applizieren. Dies ist mittlerweile Teil der europäischen Krisenfolklore.

In arrivierteren Kreisen, unter Politikern oder Ökonomen etwa, wird der Unmut über Deutschland natürlicher viel höflicher artikuliert. Dort bedient man sich üblicherweise des Argumentes, die hypereffiziente deutsche Exportmaschine erdrücke gleichsam die europäische Peripherie. Deutschlands riesige Handelsbilanz-Überschüsse würden quasi zwingend zu entsprechenden Defiziten in Griechenland oder Portugal führen und diesen Staaten innerhalb der Eurozone dementsprechend schaden. Deutschland, fordert deshalb nicht nur Frankreichs Industrieminister Arnaud Montebourg routinemäßig, müsse "die Löhne erhöhen", so seine Wettbewerbsfähigkeit vermindern und damit seine Handelsbilanz-Überschüsse zurückfahren.

Tatsächlich kostet eine Arbeitsstunde in Frankreich durchschnittlich 35 Euro, in Deutschland aber 31 Euro. Trotzdem ist fraglich, ob etwa Frankreichs schwächelnde Autoindustrie wirklich erblühen würde, müssten die deutschen Konkurrenten höhere Löhne zahlen - oder ob nicht VW, Audi & Co einfach attraktivere Autos bauen als Renault oder Citroën. Nicht wirklich nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch, welchen Nutzen die portugiesische oder die griechische Industrie davon haben soll, wenn deutsche Unternehmen dank höherer deutscher Löhne Marktanteile in China verlieren - und zwar an Konkurrenten aus Japan oder den USA.

Wirklich überzeugend erscheint die These, wonach eine künstliche Schwächung der deutschen Exportwirtschaft Europa insgesamt stärken könnte, jedenfalls nicht gerade. Das scheint auch eine einschlägige Studie des (freilich wirtschaftsnahen) "Instituts der Deutschen Wirtschaft" zu belegen, die dieser Tage publik wurde. Ihre zentrale These: Gerade die Exportstärke der deutschen Industrie stärkt die Prosperität der anderen EU-Partner, weil die deutschen Konzerne dort Vorprodukte wie etwa Maschinenteile in erheblichem Umfang beziehen. Allein zwischen 1995 und 2011 haben sich demnach die Exporte derartiger Güter aus der EU nach Deutschland verdoppelt. Das bedeutet dieser Untersuchung zufolge: Wenn Deutschlands Exporte um zehn Prozent wachsen, dann nehmen die entsprechenden Lieferungen aus den anderen europäischen Ländern an ihre deutschen Kunden um neun Prozent zu. Denn Deutschlands Export-Champions sind mittlerweile so fest in die ganze EU integriert, dass "Made in Germany" heute in der Praxis oft "Made in the European Union" bedeutet. In besonders hohem Ausmaß dürfte übrigens gerade Österreich - zum Beispiel die hiesigen Auto-Zulieferer - davon profitieren.

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit künstlich zu schwächen erscheint in diesem Lichte als überschaubar empfehlenswerte Therapie für Europas anämische Konjunktur.

ortner@wienerzeitung.at