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Terrorgefahr: Der Politologe Herfried Münkler rät zu "mürrischer Indifferenz" statt "heroischer Entschlossenheit".
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Wien. "Terrorismus - Angriff auf den Staat": Unter diesem Titel lud am Montag die Direktion für Sicherheitspolitik des Verteidigungsministeriums zu einer hochrangig besetzten Konferenz in Wien. Für die staatlichen Sicherheitsbehörden - und längst nicht nur für diese - heißt das, sich materiell und personell auf die geänderte Bedrohungslage einzustellen. Immerhin: Wenigstens mental ist das durch den Beschluss der neuen Sicherheitsstrategie bereits geschehen, konventionelle Bedrohungen rücken in den Hintergrund, internationale Einsätze und die Abwehr sogenannter hybrider Angriffe auf Staat, Bevölkerung und Infrastruktur rücken in den Vordergrund. Entsprechend ist Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) überzeugt, dass die Terrorbekämpfung "immer stärker auch zum Aufgabenfeld von Streitkräften" werde.
Im Vorfeld der Konferenz sprach die "Wiener Zeitung" mit dem renommierten Politikwissenschafter Herfried Münkler, der am Montag in Wien weilte.
"Wiener Zeitung": Haben die westlichen Gesellschaften das Phänomen des neuen, transnationalen Terrors verstanden, wie ihn erst Al-Kaida und jetzt der "Islamische Staat" und andere betreiben?
Herfried Münkler: Das ist schwer zu sagen, weil dieser Terrorismus etwas Chamäleonhaftes hat. Ich hoffe aber, dass die politischen Eliten Folgendes verstanden haben: Erstens, dass dieser Terror eine Strategie verfolgt, die dann ihre stärkste Wirkung entfaltet, wenn es ihr gelingt, ein falsches Gegenhandeln zu provozieren. Zweitens, dass es einen "interessierten Dritten" gibt, an den sich die Aktionen richten und bei dem um Sympathie und Unterstützung geworben wird. Von diesen Gemeinsamkeiten abgesehen unterscheiden sich die verschiedenen Formen des transnationalen Terrorismus in vielerlei Hinsicht. Und genau das macht es so schwierig zu sagen, ob wir eine bestimmte Form des Terrorismus verstanden haben. Die Wissenschaft hat es hier weitaus leichter als Politik und Verwaltung, die ja Strukturen aufbauen und verfestigen müssen.
Der Westen tendiert dazu, was grundsätzlich nicht unsympathisch ist, zuerst bei sich selbst nach Fehlern zu suchen und Täter sodann entweder zu pathologisieren oder aufgrund soziokultureller Benachteiligungen zu entschuldigen. Ist das hilfreich oder schadet es bei der Bewältigung der Bedrohung?
Natürlich müssen wir unser Handeln ständig überprüfen, ob sich nicht Fehler eingeschlichen haben, das geschieht auch. Bei einigen politischen Lagern führt dies mitunter aber dann dazu, dass der Westen an allem schuld sei. Ich kann in einer solchen Sicht keinen Beitrag zu einer Bearbeitung des Problems erkennen.
Und lernen wir wenigstens?
Wir lernen ständig, nur wissen wir nicht, ob wir das Richtige lernen. Mit Blick auf die vergangenen 20 Jahre würde ich meinen, dass wir unsere Fähigkeiten und unser politisches Durchhaltevermögen nun besser auf die Fähigkeiten und das Durchhaltevermögen des Terrorismus abstimmen. International betrachtet kam es so durchaus zu einer gewissen Optimierung unseres Verhaltens. Im Falle von Afghanistan etwa hat man gesehen, dass der Westen eine militärische Dauerpräsenz politisch und wirtschaftlich nicht durchhalten konnte.
Sie fordern, um die Terrorbedrohung zu bewältigen, dass wir als Gesellschaft mit Gelassenheit auf die Gefährdung reagieren. Ist uns das angesichts unserer permanenten Aufgeregtheit denn möglich?
Wir leben in einem post-heroischen Zeitalter, und es ist uns unmöglich nachzuvollziehen, wie es dazu kommen kann, dass junge Männer sich opfern und zu Selbstmordattentätern werden, noch dazu, wenn diese mitten unter uns großgeworden sind. Das ist eine dramatische Provokation für unser eigenes Selbstverständnis, doch damit müssen wir lernen umzugehen. Das ist der eine Punkt. Der andere ist die Möglichkeit, Terroranschläge wie einen tragischen, aber grundsätzlich unvermeidlichen Unfall wahrzunehmen. Das würde die Strategie der Terroristen durchkreuzen, uns durch Furcht und Schrecken in Panik und Hysterie zu versetzen.
Angesichts der Logik von Massenmedien ist das schwer vorzustellen.
Wir sind tatsächlich leicht hysterisierbar, aber unser medialer Betrieb hat auch die Tendenz, sich an solchen Ereignissen erst umfassend abzuarbeiten, sich dann aber neuen Themen zu widmen. Wir neigen also sehr wohl dazu, auch große Anschläge - vielleicht nicht in heroischer Entschlossenheit, aber doch in mürrischer Indifferenz - zu bewältigen und zu vergleichgültigen.
Was ist die Rolle der Politik? Benötigt diese mehr "heroische Entschlossenheit" oder doch eher "mürrische Gelassenheit"?
Besser keine heroische Entschlossenheit! Solche Anflüge verpuffen rasch, denken Sie an François Hollande, der nach den Pariser Anschlägen vom November 2015 erklärt hat, Frankreich befinde sich nun im Krieg. Aber weder die Entsendung eines Flugzeugträgers noch die Einsätze französischer Jets gegen den IS haben einen Beitrag zur Bewältigung geleistet, sondern die - schließlich doch noch erfolgreichen - Ermittlungen der belgischen Polizei. Schwache Politiker neigen zu starken Worten. Starke Politiker setzen statt auf Kriegsrhetorik auf Beruhigung und Beharrlichkeit - und entziehen sich so auch der Logik, nach den Kriterien von Sieg oder Niederlage beurteilt zu werden.
Wie passt der rechtsextreme Terrorismus - Breivik, die Attentate des NSU, jetzt der Mord an Jo Cox und die zahllosen Brandanschläge auf Flüchtlinge - in diese Analyse?
Hier geht es darum, Angst und Schrecken zu verbreiten, um Linke und Liberale in die Knie zu zwingen, oder - wie im Fall des NSU, wo ich am ehesten eine politische Dimension sehen würde - das Ziel, allen Fremden das Gefühl zu vermitteln, sie seien hier nicht länger sicher. Dazu zählt auch ein Mob, der auf Flüchtlinge losgeht. Das könnte man als vigilantistischen Terrorismus bezeichnen, wo sich eine kleine Gruppe zu Nachtwächtern (lat. vigiles, Anm.) einer Gesellschaft erklärt und diejenigen abschreckt, die sie hier nicht haben will. Der Ku-Klux-Klan war ein historischer Vorläufer dieses Terrors. Ich halte diese Form der Bedrohung aber für letztendlich leichter zu handhaben als den transnationalen Terrorismus.
Diese Bewertung könnte zum Eindruck verleiten, dass der rechtsextreme Terrorismus zulasten des islamistischen verharmlost wird.
Wir sind leichter hysterisierbar, wenn es grundsätzlich jeden treffen kann, was beim transnationalen Terror der Fall ist. Das führt dazu, dass sich die Menschen bei Anschlägen auf Flugzeuge oder öffentliche Verkehrsmittel viel verunsicherter und gefährdeter fühlen als bei Brandanschlägen auf Flüchtlinge. Damit will ich auf keinen Fall etwas über die politische Gefährlichkeit dieses Terrors sagen, tatsächlich ist er viel gefährlicher, weil so Hemmschwellen herabgesetzet und irgendwann als normal wahrgenommen werden.
Die längste Zeit ging es darum, den Staat zugunsten persönlicher Freiheitsrechte zu schwächen. Jetzt ist die Sorge groß, der Staat könnte zu schwach geworden sein.
Ja, der Blick auf den Staat ist ein anderer geworden. Das hat nicht nur mit Sicherheit, sondern auch mit der Globalisierung zu tun. Es geht nicht mehr nur darum, unsere Rechte gegen den Staat zu verteidigen, sondern wir müssen auch den Staat haben, der als Hüter unserer Rechte auftreten kann.
Herfried Münkler, geboren 1951, ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Sein wissenschaftliches Denken kreist seit Jahren um die Geschichte und Gegenwart von Krieg, Gewalt und Machtbeziehungen. 2015 erschien "Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert" im Rowohlt Verlag.