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Mehr Menschen mit intellektueller Behinderung in Werkstätten. | UN-Konvention: Menschen mit Behinderung haben Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt.
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Wien. Immer mehr Menschen mit intellektueller Behinderung landen in Werkstätten. 2008 haben 19.000 Menschen einen solchen Platz in Anspruch genommen - fast 30 Prozent mehr als 2002. Das geht aus einer Studie des Instituts für Bildungswissenschaft der Uni Wien hervor.
Und das, obwohl sich Österreich per UN-Konvention verpflichtet hat, behinderten Menschen das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Was ist der Grund für den massiven Anstieg? Während die Definition "Behinderung" früher sehr eng gefasst war, können heute etwa auch Menschen von Beschäftigungsmaßnahmen profitieren, die "lediglich" lernbehindert sind, sagt Studienautorin Helga Fasching im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
2001 hat die Bundesregierung zwar eine Reihe an Maßnahmen wie etwa die integrative Berufsausbildung beschlossen (Stichwort "Behindertenmilliarde"). Doch seither haben sich auch die Bedingungen am Arbeitsmarkt verschärft. Fasching: "Diejenigen, die leichter vermittelbar sind, kommen in den Genuss der Maßnahmen, andere fallen raus" - und landen in Werkstätten. Während dort Menschen mit "geistiger Behinderung" immer noch 64 Prozent ausmachen, kommen bereits an zweiter Stelle Menschen mit einer Lernbehinderung (16 Prozent). "Das ist insofern von politischer Brisanz, als diese nicht zur primären Zielgruppe von Werkstätten zu zählen sind", sagt Oliver Koenig, Co-Autor der Studie. Zum Vergleich: In Deutschland haben nur 3,4 Prozent der Menschen in Werkstätten eine Lernbehinderung.
Werkstätten "fast immer die Endstätte"
Und die Werkstätten seien "fast immer die Endstätte", so Koenig. Die Vermittlungsquote von Menschen in Werkstätten liege unter einem Prozent. Besonders schwer haben es Frauen, die in der Schule zwar bessere Noten bekommen, aber noch seltener den Weg aus den Werkstätten finden. Betroffene würden vor dem Wechsel von Werkstätten in die Arbeitswelt auch deshalb zurückschrecken, da viele Förderungen wie Familienbeihilfe oder Waisenpension an einen Werkstättenplatz gekoppelt seien.
Franz-Joseph Huainigg, Behindertensprecher der ÖVP, ist von diesen Zahlen überrascht. Er habe eigentlich das Gefühl gehabt, die Situation für behinderte Menschen am Arbeitsplatz habe sich verbessert, sagt er zur "Wiener Zeitung".
Vom allgemeinen Trend des Rückgangs der Arbeitslosigkeit konnten Menschen mit Behinderung seit der Wirtschaftskrise nicht profitieren, im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gestiegen. Deshalb fordert Behindertenanwalt Erwin Buchinger weitere Qualifizierungsmaßnahmen und spricht sich für soziale Absicherungen in den Werkstätten aus: Derzeit ist man dort nicht sozial abgesichert.
Einzig Vorarlberg bietet - immerhin schon sei 13 Jahren - mit "Spagat" (siehe unten) ein Programm für Personen an, die als "arbeitsunfähig" gelten. Diese integrativen Arbeitsplätze bieten mehr Lebensqualität und seien im Vergleich zu Werkstättenplätzen auch günstiger, so Studienautor Koenig (siehe Infobox). Er empfiehlt, dass die Kosten zwischen integrativen Arbeitsplätzen und jenen in Werkstätten zumindest ausgeglichen sein sollten.
Huainigg hält die Einstellung Behinderter jedenfalls für eine Win-Win-Situation: Sowohl das Firmenklima als auch die Betroffenen selbst würden von der Integration behinderter Menschen profitieren.
Wissen
Die Versorgungsdichte von Werkstätten liegt in Österreich im Schnitt bei 22,6 Plätzen und variiert zwischen 17,4 Plätzen pro 10.000 Einwohnern (Tirol) bis zu 27 Plätzen (Vorarlberg). Österreich liegt bei der Versorgungsdichte von Werkstätten weit unterhalb jener Deutschlands (33,4 Plätze pro 10.000 Einwohner im Jahr 2007).
Auch in Österreich besteht laut der Studie vermehrter Bedarf, der nach Angaben der Landesregierungen mittelfristig bei einer Versorgungsdichte von 25 bis 27 Plätzen liegt. Dies würde einem Mehrbedarf von 3500 Plätzen entsprechen.
Der finanzielle Aufwand für die Werkstätten beläuft sich auf rund 278 Millionen Euro. Im Vergleich dazu werden für Maßnahmen der beruflichen Integration in Summe 172 Millionen Euro ausgegeben. (Alle Zahlen beziehen sich auf 2008.)
http://vocational-participation.univie.ac.at/de/publikationen/