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Trotz Verlängerung der Sanktionen zeichnet sich eine Aufweichung der EU-Politik gegenüber Moskau ab.
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Hamburg/Moskau. Es war keine Überraschung - und ist dennoch mit Spannung erwartet worden: Am Dienstag haben sich die 28 EU-Botschafter darauf geeinigt, die Sanktionen gegen Russland um weitere sechs Monate zu verlängern. Sie bleiben somit zumindest bis Ende Januar 2017 in Kraft. Dass die Mitgliedsländer dem Beschluss noch im EU-Rat zustimmen werden, gilt als Formsache. Auch, wenn die EU punkto Ukraine weiter gegenüber Russland hart bleibt, könnte es das letzte Mal gewesen sein, dass die Sanktionen im vollen Umfang verlängert werden: Rund um die Abstimmung hat sich unter EU-Diplomaten die Sprachregelung von einem "stufenweisen Abbau" der Sanktionen durchgesetzt, die zuletzt vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier ins Spiel gebracht worden war.
So äußerte auch der französische Amtskollege Jean-Marc Ayrault im Vorfeld die Hoffnung, beim nächsten Treffen im Dezember über "eine mögliche Öffnung von unserer Seite" zu diskutieren. Zuvor hatte das französische Parlament in einer nicht-bindenden Resolution dafür gestimmt, die Sanktionen "graduell und partiell" aufzuheben. Auch der österreichische Außenminister Sebastian Kurz forderte zuletzt, dass "die Sanktionen schrittweise aufgehoben werden".
Noch vor einem Jahr hatten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, die Sanktionen erst dann zu lockern, wenn alle 13 Punkte des Minsker Friedensplans umgesetzt werden ("Alles-oder-nichts-Lösung"). Doch die Einheit bröckelt. Als "Falken" und somit Verfechter einer harten Linie gelten die osteuropäischen Länder wie Polen oder das Baltikum, währen die "Tauben" - wie Italien, Griechenland, die Slowakei, Zypern oder Ungarn - für eine weichere Linie eintreten. "Die wirtschaftlichen Sanktionen, also die, die richtig wehtun, dürfen nur nach vollständiger Umsetzung von Minsk beseitigt werden", hielt zuletzt allerdings der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok dagegen. Die Sanktionen müssen einstimmig verlängert werden.
Friedensprozess steckt fest
Derweil steckt der Friedensprozess in der Ukraine fest. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, den Minsker Friedensplan zu blockieren. Mehr als 600 ukrainische Soldaten sind laut offiziellen Angaben in diesem Jahr bereits gestorben. Dass Moskau dabei von den EU-Diplomaten zumindest rhetorisch eine baldige Lockerung in Aussicht gestellt wird, wird von Experten kritisiert. "Das ist mehr eine Reaktion auf die wachsende Uneinigkeit innerhalb der EU als auf die Situation in der Ostukraine", so Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und somit ein "fatales Signal" gegenüber Russland. "Das stärkt die Verhandlungsposition Russlands, ohne dass es etwas zu einer Befriedung der Ostukraine beigetragen hätte", so Meister weiter. "Das Waffenstillstandsabkommen wird dadurch noch weiter ausgehöhlt."
Die Sanktionen gelten indes als schmerzhaft für das russische Regime, vor allem die Finanzsanktionen, die die Refinanzierung für russische Staatsbanken erschweren. Betroffen sind zudem Im- und Exporte von Rüstungsgütern und Hochtechnologie-Exporte nach Russland. Auf die Sanktionen der EU, die Brüssel 2014 infolge der Eskalation des Krieges in der Ostukraine verhängt hat, hat der Kreml selbst mit Gegensanktionen reagiert und ein Embargo auf westliche Agrarprodukte verhängt. Die russischen Importe aus der EU sind zwischen 2013 und 2015 um fast 40 Prozent eingebrochen, so die Daten des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Wie viel davon auf das Konto der Sanktionen geht, lässt sich allerdings nicht beziffern, so WIIW-Russland-Experte Peter Havlik auf Anfrage der Wiener Zeitung.
Sanktionen stabilisieren Regime
In Russland greifen mehrere Krisen ineinander: Das rohstoffreiche Land steckt insbesondere durch den niedrigen Ölpreis seit 2014 in einer tiefen Wirtschaftskrise. Der Rubel hat fast 50 Prozent verloren, Importe verteuert, die Inflation angeheizt und die Kaufkraft abgewürgt. 2015 ist das russische BIP um 3,7 Prozent geschrumpft, für 2016 rechnet das WIIW mit einem Rückgang von weiteren 0,8 Prozent. Und der Kreml selbst? "Die russische Führung nutzt die Sanktionen als eine Entschuldigung für den wirtschaftliche Verschlechterung im Land", schreibt der russische Wirtschaftsexperte Andrej Mowtschan vom Moskauer Carnegie Center. Dass die Sanktionen somit auch stabilisierende Wirkung auf das Regime hat, wird von Russland-Experte Meister bestätigt. "Die Sanktionen waren aber ein wichtiges Signal, um der russischen Führung rote Linien aufzuzeigen", so Meister.