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Schwächeres Wachstum belastet den Arbeitsmarkt

Von Elke Pickartz

Wirtschaft

Angesichts der spürbar gedämpften Wachstumserwartungen in Deutschland wird der Abbau der Arbeitslosigkeit nach Einschätzung von Volkswirten heuer ins Stocken kommen. Die schwächeren Konjunkturaussichten veranlassten die Unternehmen dazu, weniger Beschäftigte einzustellen. Dennoch werde die Arbeitslosigkeit nicht steigen, da zugleich geburtenstarke Jahrgänge in Rente gingen und den Arbeitsmarkt stärker entlasteten als zuvor.


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Die sechs führenden Wirtschaftsinstitute hatten bei der Vorlage des Frühjahrsgutachtens ihre Konsensschätzung für das Wachstum in Deutschland für 2001 deutlich auf 2,1 von 2,7% nach unten revidiert. Einigen Experten geht die Rücknahme der Prognose jedoch nicht weit genug, da sie von einer unrealistischen Konjunkturerholung schon im laufenden Halbjahr ausgehe.

"Mit dem bisher erwarteten Wachstum von 2,7% wäre die Beschäftigung weiter angestiegen, 2,1% bedeuten dagegen eine Stagnation am Arbeitsmarkt", sagte Jörg Krämer, Volkswirt bei Invesco Asset Management, mit Blick auf die Zahlen des Frühjahrsgutachtens. Aufgefangen werde diese Belastung allein durch demographische Faktoren: "Derzeit ist es so, dass die geburtenstarken Jahrgänge aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in Rente gehen und die geburtenschwachen Jahrgänge aus den 80er Jahren nachrücken."

Demografie als Regierungs-"Verbündete"

Allein hierdurch, schätzt Krämer, werde die Arbeitslosigkeit monatlich um 20.000 zurück gehen und die Quote in diesem Jahr um 0,4 Prozentpunkte sinken: "Das wird den negativen Wachstumseffekt kompensieren. Insgesamt werden wir damit eine Stagnation am Arbeitsmarkt sehen." Die Regierung habe in der Demografie einen guten Verbündeten, mit dem sich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erfolgreicher darstellen lasse als sie tatsächlich sei.

Auch Gerd Hassel, Volkswirt bei der BHF Bank, erwartet, dass die Konjunktureintrübung dem Arbeitsmarkt einen Dämpfer versetzen wird. "Wir erwarten jetzt im Jahresdurchschnitt, dass die Arbeitslosigkeit bis zum Jahresende um 115.000 zurückgeht, ursprünglich hatten wir mit einem stärkeren Abbau um 215.000 gerechnet", sagte er. Die Arbeitslosenquote werde 2001 auf dem Niveau von 9,2% verharren. Die Effekte für die Beschäftigung könnten sogar zeitweilig noch deutlicher ausfallen: Die Rücknahme der Wachstumsschätzung ist den Experten zufolge zwar ziemlich deutlich ausgefallen, geht einigen dennoch nicht weit genug. "Die Prognose ist immer noch zu optimistisch ... Ein geschätztes Wachstum über 2% würde heißen, dass im neuen Jahr der Aufschwung schon wieder begonnen hat, und das ist absolut unrealistisch", sagte Krämer, der als ehemaliger Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft in Kiel selbst mehrere Jahre an den Gutachten mitgearbeitet hat. Krämer rechnet damit, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur um 1,6% expandieren wird. Die in den letzten Monaten stetig gesunkene Stimmung der Unternehmen werde erst mit einiger Verzögerung auf die Industrieproduktion durchschlagen. "Wir werden ein schlechtes erstes Halbjahr in der Produktion sehen und das wird die Konjunktur weiter belasten", sagt er.

Geht der Pessimismus zu weit?

Christoph Hausen von der Commerzbank hält die Schätzung des Frühjahrsgutachtens dagegen für angemessen. "2% ist eine ganz realistische Prognose ..., der Pessimismus geht meines Erachtens bei vielen zu weit." Im Februar war die Industrieproduktion entgegen den Erwartungen noch überraschend deutlich gestiegen.

Abbau der Arbeitslosigkeit verlangsamt

Eine Abschwächung in den kommenden Monaten sei zwar denkbar, solle aber nicht überschätzt werden. "Ich kann mir schon vorstellen, dass die Wirtschaft im 1. Quartal mit 0,6% wachsen wird", fügte Hausen hinzu. Doch selbst er rechnet nun mit einem langsameren Abbau der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr. Einig sind sich die Experten darin, dass auch die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose von rund 2¾%, an der sie bislang so beharrlich festgehalten hatte, nach unten schrauben wird. Spätestens dann werde auch der Druck auf Bundeskanzler Gerhard Schröder wachsen, die schon lange fällige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Gang zu bringen.