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Schwaches PISA-Ergebnis ist nur die Spitze des Eisberges

Von Walter Hämmerle

Politik

Seitdem das schwache Abschneiden Österreichs in der PISA-Studie 2003 bekannt ist, überzieht eine hitzige bildungspolitische Diskussion das Land. Der Bildungswissenschafter Stephan Berchtold sieht das Entlohnungssystem für Lehrer und die fehlenden Durchgriffsrechte von Direktoren als Grundübel des heimischen Schulsystems an.


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Für Berchtold gehen die meisten, der jetzt hektisch diskutierten Problemlösungsideen an den tatsächlichen Problemen vorbei: "Wenn man wirklich etwas ändern will, ist eine Diskussion der Strukturen unvermeidbar", ist Berchtold im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" überzeugt. Man könne all die Sachen, die jetzt diskutiert werden, nicht mit den derzeitigen Schulstrukturen bewältigen - "das ist der klassische pädagogische Eisberg". Vom Bildungssystem ragt nur das schwache PISA-Ergebnis aus dem Wasser, wie es jedoch dazu kommt, bleibt den Augen verborgen.

Dass die Entlohnung der Lehrer über Werteinheiten - und damit über gehaltene Schulstunden - erfolgt, ist für Berchtold ein "Grundübel des Systems". Durch die Fixierung auf gehaltene Stunden, werde alles, was darüber hinaus gehe, als freiwillige Mehrleistung betrachtet. Dieses Konstrukt der Entlohnung mache vieles unmöglich - fächerübergreifendes Lernen hänge deshalb in aller Regel am seidenen Faden der freiwilligen Bereitschaft der Lehrer. "Was einst als Errungenschaft gefeiert wurde, falle jetzt allen Beteiligten auf den Kopf", resümiert der Vorarlberger Bildungswissenschafter und Schulentwickler mit Lehraufträgen an mehreren Universitäten.

Eine Schlüsselrolle im gesamten Schulsystem kommt den Schuldirektoren zu. Derzeit ist die Situation so, dass diese für ihre Schulen im Rahmen einer Teilautonomie ein individuelles Leitbild entwickeln sollen. Doch was passiert, wenn die Lehrer einfach Nein sagen und ihre Mitarbeit verweigern?

"Der Direktor ist in einem solchen Fall völlig hilflos, er kann praktisch nichts gegen den Widerstand des Lehrkörpers durchsetzen", analysiert Berchtold die fehlenden Grundvoraussetzungen für eine wirkliche Autonomie der Schulen. In welchem anderen Bereich wäre es sonst schließlich vorstellbar, dass eine Führungskraft sich nicht seine Mitarbeiter aussuchen, Leistungsanreize setzen und Fehlverhalten ahnden könne?

Dazu komme, dass Direktoren mit viel zu viel Bürokratieaufgaben überhäuft werden und darübter ihre pädagogische Leitungsaufgabe zu kurz komme. In Summe führe dies dazu, so Berchtold, dass die Direktoren von ihren Lehrern nicht als Führungskraft akzeptiert werden.

Für den Bildungswissenschafter führen diese strukturellen Missstände an den Schulen in Summe dazu, dass niemand den Gestaltungsauftrag in die Praxis umsetze. Das Resultat sei neuer bzw. noch mehr Frust bei allen Beteiligten.

Ein grundsätzliches Umdenken in den Köpfen herbeizuführen, wird so zur größten Herausforderung bei der Reform des Bildungssystems.