)
Figurine wurde vermutlich als Muttergöttin verehrt. | Fund wirft neues Licht auf Zeit des sozialen Umbruchs. | Weibliche Darstellungen dominierten die Steinzeit. | Tübingen/Wien. Sie wiegt nur 33 Gramm und ist sechs Zentimeter klein, dennoch beschäftigt sie Forscher der ganzen Welt: Die "Venus vom Hohle Fels", eine mehr als 35.000 Jahre alte, altsteinzeitliche Frauenfigur, die von Tübinger Wissenschaftern im Alb-Donau-Kreis des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg gefunden worden ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Sensationell ist die Tatsache, dass die aus dem Elfenbein eines Mammuts geschnitzte und verzierte Statuette die weltweit älteste Menschenfigur präsentiert - die eindeutig weiblich ist.
Die überdimensionierten Brüste und das akzentuierte Gesäß kontrastieren mit den verkümmert wirkenden Gliedmaßen, statt eines Kopfes thront eine Öse auf dem üppigen Körper: Die Figur könnte als Anhänger getragen worden sein, wobei sie laut der Prähistorikerin Christine Neugebauer-Maresch von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sicherlich nicht als Spielzeug diente.
Vielmehr war sie ein Kultobjekt, der Mittelpunkt spezieller Rituale der Jägervölker der Steinzeit. Die Verehrung als Muttergöttin, als Symbol der Fruchtbarkeit und Ausdruck der Wechselbeziehung zwischen Leben und Tod, sei denkbar - was ein völlig neues Licht auf die Gedankenwelt der steinzeitlichen Menschen wirft.
Bestattung mit Ritualen
Bisher war man nämlich davon ausgegangen, dass deren großer sozialer Umbruch im Gravettien, der Zeitperiode vor 28.000 bis 22.000 Jahren in der jüngeren Altsteinzeit, stattgefunden hat. "Ab dieser Zeit gibt es nachweislich Bestattungen mit Ritualen und Symbolfiguren", erklärt Neugebauer-Maresch, "weil die Nomadenvölker sesshafter wurden und ihre Toten begraben mussten, um nicht durch deren Verwesungsgeruch Raubtiere anzulocken." Damals wurde etwa die üppige "Venus von Willendorf", die vor rund 100 Jahren in der Wachau gefunden worden ist, aus Kalkstein gefertigt.

"Sie galt bisher als die älteste typisch weibliche Muttergestalt, die Darstellung einer älteren Frau, die schon mehrere Kinder geboren hat", weiß Walpurga Antl-Weiser von der prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, wo die "Venus von Willendorf" hinter Panzerglas ausgestellt ist.
Ganz in ihrer Nähe ist die 1988 bei Grabungsarbeiten nördlich von Krems in Niederösterreich gefundene "Fanny vom Galgenberg" platziert. Diese etwa 32.000 Jahre alte Statuette aus der Zeitperiode des Aurignacien (vor 40.000 bis 28.000 Jahren) ist aus flachem Schiefer gefertigt und zeigt daher keine ausgeprägten Rundungen, ist aber eindeutig weiblich. "Aus dem Aurignacien kannte man vor dem Fund von ,Fanny´ ausschließlich geschlechtsneutrale Gestalten und Tierplastiken", erwähnt Antl-Weiser gegenüber der "Wiener Zeitung".

Von Frauen gefertigt
Erst im Gravettien setzte nach früheren Ansichten die deutlich plastische Darstellung von Frauen ein. Zahlreiche Venus-Statuen sind neben jenen in Österreich in Tschechien, Italien, Frankreich, Russland und Sibirien gefunden worden. Männerfiguren stellen hingegen die große Minderheit dar - den üppigen Muttergestalten steht als einzige männliche Steinfigur der "Mann aus Brünn", eine Gliederpuppe aus dem Gravettien, gegenüber. Selbst die Künstler, unter deren Händen die Figurinen entstanden sind, dürften Frauen gewesen sein. "Auf einigen Venus-Statuen wurden Fingerabdrücke entdeckt", sagt Neugebauer-Maresch, "die aufgrund ihrer Krümmung und Größe nicht von Männern stammen können." Sie wurden eindeutig Frauen oder elf- bis zwölfjährigen Buben zugeordnet.
Der Kunstprofessor Leroy McDermott von der Missouri State University in den USA interpretiert die Statuen sogar als Selbstporträts schwangerer Frauen: Die charakteristischen Verzerrungen wie große Bäuche und Brüste sowie kurze Beine und winzige Füße stellten die verkürzte Perspektive einer Schwangeren dar, die an ihrem Körper hinabblickt. Die Köpfe zeigen laut dem Professor keine Gesichtszüge, weil die Künstler in einer Welt ohne Spiegel ihre Gesichter nicht sehen konnten. Dennoch schließt McDermott nicht aus, dass eine rituelle oder religiöse Bedeutung in diesen steckte.