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Washington · Am Beginn des Jahres 2000 stehen die USA auf der Höhe ihrer Supermacht. 1999 war wieder einmal ein "amerikanisches Jahr". Ein Beispiel unter vielen: Angetrieben vom politischen | Willen Washingtons und gestützt auf die militärische Stärke des größten Bündnismitglieds, griff die NATO Jugoslawien im Konflikt um das Kosovo aus der Luft an.
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Dennoch befinden sich die USA mitten in einer Identitätskrise und wissen nach Ansicht außenpolitischer Fachleute nicht recht, was sie mit all ihrer Macht anfangen sollen. Die einen fordern eine
kalte Interessenpolitik, die anderen einen überlegten Kurs weltweiter Zusammenarbeit auch und besonders im Rahmen der Vereinten Nationen, wieder andere den Rückzug in einen "neuen Isolationismus".
Der Wahlkampf um die Nachfolge von Präsident Bill Clinton nach zwei Amtszeiten hat den Debatten über die Sicherheitspolitik eine noch größere Dimension gegeben. Gegner wie der republikanische
Präsidentschaftsaspirant John McCain werfen Clinton vor, er habe Amerikas Einfluss in der Welt durch die Lewinsky-Affäre geschmälert, er habe Selbstzweifel genährt und Konzeptionslosigkeit
zugelassen.
Konflikte über den richtigen Kurs im Ausland sind in den USA nicht neu, aber seit den 30er Jahren selten in dieser Schärfe ausgebrochen. Konservative "Neo-Isolationisten" brachten im Kongress 1999
die Ratifizierung des Atomteststopp-Abkommens zu Fall.
Sie hinderten das mächtigste und reichste Land der Erde Jahre lang daran, seine Schulden bei den Vereinten Nationen zu begleichen. Sie fordern einen Rückzug aus der undankbaren Rolle des
Feuerwehrmanns, der regionale Brände löscht. Die Machtdemonstration gegen Jugoslawien lieferte ihnen Argumente, weil der Feind Slobodan Milosevic in Belgrad weiter das Kommando führt.
Aber auch im Ausland wird nicht nur von den traditionellen Feinden zunehmend kritisiert, wie Washington seine Macht ausübt. Im transatlantischen Gebälk knistert es. Frankreichs Spitzenpolitiker
werfen Washington Arroganz vor und mühen sich darum, Europa stärker abzunabeln. Im Streit um Hormonfleisch und Bananen führen die Europäische Union und die USA nur dem Namen nach keinen Handelskrieg
gegen einander.
Präsident Clinton spricht offen davon, dass Macht vergänglich und internationale Partnerschaft daher ratsam sei. Sein Sicherheitsberater Sandy Berger warnt davor, einen "befestigten Zaun um Amerika
zu ziehen", und rät zur Behutsamkeit: "Macht ist die Fähigkeit, etwas durch Gewalt oder Sanktionen zu erzwingen. Manchmal muss man es tun, aber als letztes, nicht erstes Mittel."
Küren die Amerikaner bei der Präsidentenwahl am 7. November 2000 den bisherigen Vize Al Gore, so rechnet Washington mit Kontinuität. Sein Konkurrent Bill Bradley in der Demokratischen Partei fordert,
internationale Interventionen einzuschränken und stattdessen mehr mit der UNO und anderen internationalen Institutionen zu kooperieren.
George W. Bush, der Sohn des gleichnamigen Ex-Präsidenten und die große Hoffnung der Republikanischen Partei, redet einem "ausgeprägt amerikanischen Internationalismus" das Wort. Analytikern ist
nicht klar, was genau dies zu bedeuten hat. Auf zwei wichtigen Gebieten würde er sich aber von der jetzigen Regierung deutlich unterscheiden. Für ihn ist die Volksrepublik China kein strategischer
Partner, sondern ein gefährlicher Konkurrent. Bei einem Machtwechsel zu den Republikanern müsste allen Ankündigungen zufolge auch Russland mit einer erheblich härteren Gangart rechnen.