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Schwarmhäuser

Von Jan Michael Marchart

Wirtschaft

Mittels Crowdinvesting können Private mit wenigen Klicks in Immobilien investieren. Aber es gibt auch Risiken.


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Wien. Das dreistöckige Gründerzeithaus in der Großen Mohrengasse 36 im zweiten Wiener Bezirk sieht so aus, als hätte es aufgegeben. Die Wände bröckeln und die roten Ziegelsteine scheinen sich jeden Tag ein Stück mehr nach außen zu drängen. Das oberste Stockwerk ist bewohnt. Zumindest zum Teil. Unterhalb wird es trister. Durch die Fenster sind abgeschlagene Wände zu sehen. Auf der Fassade wurden viele Schriftzüge und ein Anarchisten-A aufgesprayt.

Seit Juni kann das Wohnhaus in der Große Mohrengasse in der ein oder anderen Facebook-Timeline auftauchen. Auf dem Sujet sieht das marode Gebäude aber ganz anders aus. Dort hat es eine strahlend weiße Fassade, Geschäfte im Untergeschoss und im obersten Stockwerk ein Penthouse mit einem Pool auf dem Dach. Gründerzeit weicht modernem Luxus.

Hinter den Zukunftsplänen steckt die Crowdinvesting-Plattform Rendity. Sie möchte über eine Internet-Kampagne eine halbe Million Euro (von insgesamt 9,5 Millionen) von Kleinanlegern sammeln, um das Gebäude in Schuss zu bringen. Danach werden die Wohnungen einzeln verkauft. Der Anbieter lockt auf Facebook mit sechs Prozent Zinsen und kurzen Laufzeiten. "Werde noch heute zum Immobilieninvestor und profitiere", heißt es da. Doch Vorsicht ist geboten.

Auch die Immobilienbranche hat den Trend für sich entdeckt, Projekte mittels vieler kleiner Geldgeber, einer Crowd, zu finanzieren. Seit dem Start des neuen Alternativfinanzierungsgesetzes (AltFG) im Oktober 2015 sind auch in Österreich Immobilienplattformen aktiv: etwa Rendity und Home Rocket. Je nach Anbieter können Anleger ab 250 Euro dabei sein. Bei Rendity liegt der Mindesteinsatz mit 1000 Euro schon höher. Aber es bleibt ein verlockendes Angebot für jene, die in Immobilien investieren wollen, sich aber selbst kein eigenes Haus leisten können. Solide Anlageobjekte, sechs Prozent Zinsen und das alles nur wenige Klicks entfernt - zu schön, um wahr zu sein?

Nachteile im Kleingedruckten

Um den Griff nach Hochrisikoanleihen zu verstehen, muss man die Zeit ein wenig zurückdrehen. Die Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch das Platzen der US-Immobilienblase 2007 und die einhergehende Banken- und Finanzkrise, machten Aktienspekulationen unattraktiver. Gleichzeitig bringt der permanente Niedrigzins auf Sparbücher und Girokonten ein Umdenken im Konsumentenverhalten. Genussscheine, Anleihen oder Crowdinvesting sind heute alternative Möglichkeiten, um Geld anzulegen.

André Exner schrieb vor einem Jahr im "WirtschaftsBlatt", dass Crowdinvesting, wie im Fall von Rendity, nichts anderes sei als der legale Versuch, riskante Großprojekte an der Prospektpflicht vorbei zu bringen und unbesicherte Nachrangdarlehen als sicher zu verkaufen. Für Exner ist das "Etikettenschwindel". Anleger sollten bedenken, dass ihr Investment schnell weg sein könnte.

Stichwort: Nachrangdarlehen. Wie so häufig, finden sich die Nachteile im Kleingedruckten. Nachrangdarlehen beinhalten in der Regel keine Stimmrechte. Der Anleger muss sich damit auf den Bauträger verlassen. Mitreden kann er nicht. Dem Investor gehört im Fall von Rendity nicht einmal eine Türschnalle des Hauses, in das er investiert.

Kritischer ist aber, dass Nachrangdarlehen äußerst schlecht geschützt sind. Diese Kredite sind eigenkapitalsähnlich, weshalb der Anleger erst Geld sieht, wenn die Banken bedient sind. Im Falle einer Insolvenz kann es also durchaus sein, dass der Anleger durch die Finger schaut.

"Risikopuffer für die Bank"

Dass dies nicht nur Theorie ist, zeigt die Pleite des deutschen Pelletproduzenten German Pellets im vergangenen Jahr. Mehr als 250 Millionen Euro Kapital von tausenden Anlegern wurde dort unter anderem über Genusscheine eingesammelt, die ebenfalls als nachrangig gelten. Sie haben ihr Geld inzwischen verloren.

"Das ist es ja", sagt Wilhelm Rasinger, Präsident des Interessensverbands für Anleger. "Bei solchen Investitionen bin ich der Letzte in der Kette." Die Zinssätze seien zwar verlockend, aber auch mit erheblichen Risiken verbunden. Darauf werde der Anleger auf solchen Portalen zu wenig vorbereitet. Und: "Jeder, der es gut macht, kann sich für sein Projekt Geld von der Bank holen", so Rasinger. "Warum kommt der Anbieter also zu mir für ein paar tausend Euro pro Person", fragt er.

Meist nutzen die Anbieter das eingesammelte Kapital nicht als Ersatz für einen Bankkredit, sondern als Ergänzung. Im Fall von Rendity ist es auch Marketing. "Wenn ich einen anonymen Investor finde, der mir eine halbe Million gibt, ist das zwar schön, sagt Tobias Leodolter, Gründer und Chef von Rendity. "Aber er schafft es nicht, dass Leute über ein Projekt auf Facebook schreiben." So möchte Rendity das Kaufinteresse für die Wohnungen wecken.

Aber es gibt einen wesentlicheren Grund. Seit der Finanzkrise ist die Bankenregulierung deutlich verschärft worden. Um einen Kredit zu bekommen, müssen Firmen einen deutlich höheren Eigenkapitalanteil vorweisen. Hier kommt das Geld der Kleinanleger ins Spiel. Rasinger: "Die Leute müssen sich bewusst sein, dass sie ein Risikopuffer für die Bank sind."

Auch Finanzwissenschafter Stefan Pichler von der Wirtschaftsuniversität Wien rät zur Vorsicht. "Der Fehler, den man hier macht, ist nicht die Investition per se", so Pichler. "Aber es wird in der Regel das Sortiment nicht erweitert." Private investieren in etwas, das eine hohe Rendite verspricht, haben aber meist keine anderen Anleihen, die Verluste auffangen könnten. Pichler rät eher dazu, in einen Fonds zu investieren, mit mehreren Anleihen. Dieser wird von einer Bank gemanagt, was mit mehr Sicherheit einhergeht.

Jeder will profitieren

Viele Anleger schrecken die Risiken nicht ab. Rund 1,3 Millionen Euro sammelte in Österreich allein die Plattform Rendity von 468 Investoren ein. Fünf Projekte wurden bisher in Wien und eines in Berlin abgeschlossen. Rund 460.000 Euro Kapital hat das Unternehmen an seine Gönner im März und Mai dieses Jahres ausgeschüttet. "Das war wichtig", sagt Rendity-Chef Leodolter. "Das ist die einzig harte Währung für unser Versprechen."

Ja, es sei ein Risikoinvestment und "es kann alles weg sein". Auch Leodolter rät seinen Anlegern dazu, ihr Risiko zu streuen. Wie man es auch bei Firmenaktien machen sollte. "Wichtig ist, sich die Projekte anzusehen und zu verstehen, was da passiert."

Aus zweierlei Gründen glaubt Leodolter aber an den Erfolg von Rendity. Erstens gibt es eine hohe Wohnungsnachfrage in Wien. Und, zweitens, nicht nur Kleinanleger, auch die Betreiber wollen profitieren. Sie bekommen Erfolgsprovisionen und projektspezifische Vermittlungsgebühren. "Außerdem ist der Immobilienentwickler zu zwei Dritteln am Eigenkapital beteiligt", sagt Leodolter. Dementsprechend groß sei das Interesse von allen Seiten, dass alles glatt läuft. Deswegen sollen bei Rendity auch nur Projekte präsentiert werden, die sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium befinden.

Für jene Anleger, denen sechs Prozent Rendite zu riskant erscheint, hat Rendity Mietwohnungen gekauft, in die die Crowd ihr Geld stecken kann. 200.000 Euro wurden investiert, für eine versprochene Rendite von drei Prozent und die Geldgeber werden an der Wertsteigerung beteiligt. Immerhin: Zumindest ein bisschen weniger Risiko.