Zum Hauptinhalt springen

Schwarz-grünes Zukunftslabor

Von Maren Häußermann aus Stuttgart

Politik

Im Baden-Württemberg steuern die Grünen die Politik und der Automobilsektor die Wirtschaft. Das deutsche Bundesland könnte damit ein Vorbild für Österreich werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Tesla ist old school", sagt der baden-württembergische Regierungssprecher. "Ich glaube, das Auto der Zukunft wird komplett anders aussehen: Ein Wohnzimmer auf Rädern, in dem man etwas liest, während man fährt, oder Mittagschlaf macht." Rudi Hoogvliet sitzt in seinem Büro unter dem Dach der Villa Reitzenstein mit Blick über Stuttgart. Herrschaftliche Bauten und polierte Autos umgeben den Amtssitz des Staatsministeriums und pflastern den Hang hinunter in das Zentrum der Landeshauptstadt. Wie eine Wunde klafft dort die Großbaustelle des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21. Die Öffis werden umgeleitet und auf den Straßen herrscht Stau.

Die Region Stuttgart ist zu 53 Prozent direkt vom Fahrzeugbau abhängig. Mercedes, Porsche und all die Zulieferer sind hier. Das Auto spielt eine zentrale Rolle im Alltag. Jeden Tag fahren 40.000 Pendler damit in die 600.000-Einwohnerstadt und am Abend wieder hinaus. Gleichzeitig gibt es hier jene Regierungskoalition an der sich Österreich gerade versucht, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Die Grünen reagieren nach dem Wahlsieg im Jahr 2016 mit der konservativen CDU als Juniorpartner. Und Diskussionen um den öffentlichen Verkehr sowie die Sorge, dass die Arbeitgeber bei zu grüner Politik den Standort verlassen, prägen auch hier den Politikalltag.

Crashkurs für grünes Denken

"Natürlich waren die Unternehmen zunächst verunsichert", sagt Hoogvielt. "Ich kenne ein paar ehemalige Grüne im Beratungsbereich, die sich zu Beginn unserer Zeit eine goldene Nase verdient haben, weil jede Chefetage wollte einen Crashkurs: Wie ticken die Grünen?" Die Partei geht mit einem Strategiedialog in die Offensive. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen arbeiten in thematischen Arbeitsgruppen zusammen, um die Industrie grün umzugestalten.

Ein Konzept, das bereits Vorbildwirkung entfaltet hat. Auch die neue schwarz-grüne Vorarlberger Landesregierung schaut über den Bodensee zu den Amtskollegen und orientiert sich bei ihrem Programm am baden-württembergischen Strategiedialog, um einen eigenen Weg in die Zukunft von Wirtschaft und Umwelt zu entwickeln. "Wir finden, dass es kein Zufall ist, dass gerade in Baden-Württemberg die Grünen regieren" sagt Hoogvielt. "Hier ist das Know-how, um Ökonomie und Ökologie zu verbinden."

Dass das emissionsfreie Auto der Zukunft auch aus Baden-Württemberg kommt, ist auch das erklärte Ziel von Sandra Detzer, der Landesvorsitzenden der Grünen. Es soll gleichzeitig passieren: die Pariser Klimaziele erreichen und Spitzenreiter in der Automobilbranche bleiben. Diese Ambition, dieser Wettlauf gegen die Zeit, sorgt für Unbehagen in der Bevölkerung, wie die 39-jährige weiß. Die Moderne mit Digitalisierung und Geschwindigkeit sei für die Menschen eine Herausforderung und deshalb bräuchten sie in der politischen Gestaltung eine Mischung aus Geschwindigkeit und Verlässlichkeit. "Das ist wie Fahrrad fahren: Man muss immer weitertreten, dass es funktioniert", sagt Detzer.

In einer Koalition mit der konservativen Partei, die nur ungern Gebote oder Verbote erlässt, führt das auch immer wieder zu zähen Konflikten. Wenn es beispielsweise um die Verteilung von Parkplätzen geht oder den kostenintensiven Ausbau von Ladeinfrastrukturen für E-Autos. Aber umsonst sei Klimaschutz eben nicht zu haben, sagt Hoogvliet. "Das ist keine Wohlfühlveranstaltung."

"Wir müssen die Menschen mitnehmen, sagt dagegen Roman Zitzelsberger, der Bezirksleiter der Arbeitnehmervertretung IG Metall. 288.000 Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt vom Fahrzeugcluster abhängig. "Natürlich machen sich Beschäftigte, die am Verbrennungsmotor arbeiten, Sorgen um ihre Zukunft. Und wenn in dieser Situation irgendjemand erklärt, der Klimawandel sei Unsinn, dann ist ein Teil davon anfällig für solche Botschaften." Dass der technologische Wandel kommt, ist den Arbeitnehmervertretern aber klar. Die Gewerkschaft muss nun vor allem mit der unbequemen Wahrheit umgehen und fordert von den Unternehmen und der Politik, sich Gedanken über die Arbeitnehmerplanung und -entwicklung der Zukunft zu machen. Denn dafür braucht es andere Qualifizierungen und Umschulungen.

Eine Chance für die Industrie

Aber auch den Unternehmen fehlt die Planungssicherheit. "Man hört von Klimafreunden, der Strategiedialog sei viel zu autofreundlich. Was wollt ihr denn? Wollt ihr gar kein Auto, dann sagt das doch," sagt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervertretung Südwestmetall. Er bezieht sich damit auf den Aktionsplan der Grünen, die bis 2030 ein Drittel weniger KfZ-Verkehr haben wollen. Gleichezeitig vermisst Dick aber auch klare Ansagen, wie in China, wo man von den Fehlern in Europa und den USA gelernt habe. "Die Chinesen lassen einen Schritt aus und rüsten gleich alles auf Grün um. Da wird es schwierig, unsere bisherigen Modelle zu verkaufen."

China hat sich zum Leitmarkt entwickelt, Stuttgart muss ihn bedienen. Denn jeder zweite Euro, den die baden-württembergische Industrie absetzt, kommt aus dem Export und China ist der zweitwichtigste Handelspartner. Walter Rogg, Geschäftsleiter der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, sieht hier eine Chance. "Man kann jetzt Geld verdienen, indem man Produkte und Verfahren anbietet, die dem Klimawandel entgegenwirken." Aber auf keinen Fall dürfe man sich hier gegen das Auto stellen, sagt er. "Die Produktion geht dahin, wo die Nachfrage ist, und Forschung und Entwicklung gehen dahin, wo die Produktion ist. Sinn macht es, die Rolle des Autos im heutigen Umfang zu problematisieren."

Rogg wirkt wie die personifizierte Brücke zwischen den Fronten. Er verteidigt das Auto und verurteilt, genauso wie die Umweltverbünde, den übermäßigen Individualverkehr. Und das CDU-Mitglied zeigt sich beeindruckt davon, wie der grüne Ministerpräsident den Spagat meistert: "Winfried Kretschmann steht für Verlässlichkeit und Nachdenklichkeit und nimmt so die Leute in die nachhaltigere Wirtschaft mit", sagt Rogg. Am Wochenende wird sich herausstellen, ob auch Österreich dieses Experiment wagt und die Weichen für eine grüne Regierungsbeteiligung auf Bundesebene stellt.