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Die ÖVP legt eine Studie über ehemalige NSDAP-Mitglieder in den eigenen Reihen vor.
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Wien. Mitten in der Diskussion um die Historikerkommission, die die FPÖ im Zuge der Affäre um ihren niederösterreichischen Spitzenkandidaten Udo Landbauer angekündigte hatte, veröffentlicht nun die Kanzlerpartei ÖVP einen Beitrag zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Das parteinahe Karl-von-Vogelsang-Institut und in der Folge der Jurist und Historiker Michael Wladika untersuchten 560 Lebensläufe von ÖVP-Politikern der frühen Jahre der 2. Republik. Der Untersuchungsgegenstand, sagt Wladika im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", konzentrierte sich bewusst auf die Frage, in welchem Ausmaß ÖVP-Politiker in der NS-Zeit Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen waren.
Ergebnis: 36 Personen oder 6,4 Prozent des Samples waren NSDAP-Mitglieder, 17 Personen werden als Zweifelsfälle ausgeschildert. Zwischen 6,4 und 9,5 Prozent betrage deshalb die Bandbreite der ehemaligen NSDAP-Mitglieder der ÖVP - "nicht mehr, als es in der Gesamtbevölkerung der Fall ist", sagt Studienautor Wladika. Sowohl Wladika als auch der Koordinator der Studie, der Chef des Pressediensts im Bundeskanzleramt und Präsident des Vogelsang-Instituts, Helmut Wohnout, verweisen auf eine vergleichbare, 2005 veröffentlichte Studie zur SPÖ. Die von der Historikerin Maria Mesner herausgegebene und von Ex-SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer in Auftrag gegebene Studie kam auf die Zahl von rund zehn Prozent ehemaliger NSDAP-Mitglieder in der SPÖ und ihren Teilorganisationen.
Schwierige Quellenlage
Rund 200 Seiten umfasst die Studie, die auf der Internetseite des Vogelsang-Instituts abrufbar ist. Auffällig ist der Zeitpunkt des Erscheinens der Studie allemal - und das nicht nur wegen der laufenden Debatte über die selbstverordnete FPÖ-Geschichtsaufarbeitung. Die Idee, die eigene Vergangenheit hinsichtlich der NS-Zeit aufzuarbeiten, sei nach 2005 und nach dem Erscheinen besagter SPÖ-Studie entstanden, so Wohnout. Wieso aber wurde die Studie erst jetzt fertig und veröffentlicht? "Das hat mit der teils schwierigen Quellen- und Forschungssituation zu tun", sagt Wohnout. Er verweist auf die teils überbordende NS-Bürokratie, deren Ämter sich bisweilen gegeneinander um ihre Zuständigkeitsbereiche rangen, sowie auf die auf verschiedene Archive aufgeteilten Bestände. Der Studienautor betont zudem, die Forschungsarbeit in einer Nebentätigkeit verrichtet zu haben. Die zitierten Online-Quellen wurden beispielsweise teils schon vor acht Jahren, teils vor drei Jahren und nur zum kleineren Teil erst kürzlich abgerufen.
Dennoch widmet sich die Arbeit akribisch den Biographien der ausgewählten ÖVP-Politiker. Die schwierige Einschätzung, wer zum Kreis der NSDAP-, SS-, SA-Mitglieder oder zum NS-Kraftfahr- oder Fliegerkorps gehört und wer nicht, wird transparent und aufwendig dargestellt. "Es gibt Fälle, wo ein fertiger NSDAP-Aufnahmeantrag vorliegt, und die Person dennoch nicht zu den Mitgliedern zu rechnen ist, da die Mitgliedschaft während einer Tätigkeit in der Wehrmacht ruhte", so Wladika.
Mit einem Vergleich zu Studien anderer Parteien sollte man dennoch vorsichtig sein. Es ist mehr als fraglich, ob die Arbeit als umfassend angesehen werden kann. Während sich die SPÖ 2005 dem generellen Umgang der Nachkriegs-SPÖ mit ehemaligen Nationalsozialisten widmete, umfasst das für die ÖVP-Studie ausgewählte Sample nicht sämtliche Teilbereiche der ÖVP, sondern besteht aus ÖVP-Regierungsmitgliedern, Parlamentariern, Landtagsmitgliedern und Klubobleuten. Auf die Untersuchung von niederen Parteirängen, etwa in den traditionellen Bünden der ÖVP, wurde offensichtlich verzichtet. Zum Bundesland Salzburg, das zwar eher unterdurchschnittlich wenige NSDAP-Mitglieder auswies, aber den Nationalsozialisten als besonders "durchhaltewillig" galt, ist in der Studie zu lesen: "Eine Untersuchung der Quellenbestände in Salzburg entfiel, da kein einziger ÖVP-Funktionär der Untersuchungsgruppe einer auf Primärquellen beruhenden Recherche zu unterziehen war."
Studienautor Wladika sieht dennoch das von der Forschung gezeichnete Bild bestätigt, wonach sich die "Ehemaligen" in der Nachkriegszeit nicht nur im FPÖ-Vorläufer Verband der Unabhängigen (VdU), sondern eben auch in den beiden großen Lagerparteien SPÖ und ÖVP gesammelt hatten.
ÖVP will Mitglieder schulen
Welche Schlüsse aber zieht nun die ÖVP aus den Ergebnissen der Studie? Und wieso wird sie genau jetzt - mitten in der Debatte um die FPÖ-Kommission - veröffentlicht? Wladika und Wohnout verweisen auf die politische Ebene. Genaueres war ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer am Mittwoch nicht zu entlocken. Aus dessen Büro aber heißt es schriftlich: "Wir werden nun auf Grundlage dieser Ergebnisse die Geschichte der Volkspartei kritisch sichtbar machen, ohne Geschichtslöschung zu betreiben. Wir werden in Zukunft Funktionäre und Mitglieder verstärkt mit diesem Teil der Parteigeschichte vertraut machen."
Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) gratulierte der ÖVP bereits. "Wir sind jetzt auch dabei", sagte er am Mittwoch nach dem Ministerrat. Zuletzt hatte Parteichef Strache seinem Parteifreund Mölzer widersprochen, der die FPÖ-Aufarbeitung in einem Interview als "taktisches Manöver" bezeichnet hatte.