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Schwarze Parteireform: Klimmzug oder Überlebenstraining?

Von David M. Wineroither

Gastkommentare

Die ÖVP muss sich erst konsolidieren, bevor sie sich der Stimmenmaximierung widmen kann.


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Eine ausgewachsene Programmdiskussion droht die Volkspartei zu überfordern. Sie probiert es mit einem Klassiker: Wie, ihr lieben Neos, haltet ihr es mit der Religion? Wie mit Drogenkonsum? Für die Establishment-Partei macht das Sinn - Pflege des (vermeintlichen) Markenkerns nennt man das im Branchensprech.

Waren die vergangenen Jahre von neuen Mitbewerbern im rechtspopulistischen Lager (BZÖ, Team Stronach) und - eilig versandet - im linken Segment (HPM, Piraten) geprägt, rücken nun die Neos im ideologischen Zentrum vor. Die ÖVP als Hauptadressatin nimmt den Fehdehandschuh notgedrungen auf: Bis 2015 möchte man sich per Reform wettbewerbsfähiger machen. Die Erfolgsaussichten für eine programmatische Erneuerung sind trüb: Die Risiken sind erheblich, der Lohn ist karg. Die Kampagne für die Nationalratswahl 2013 war widersprüchlich und nabelschauartig - ein Abbild der Bedürfnisvielfalt bürgerlicher Klientelen und zweckmäßig, um effektiv Schadensbegrenzung zu betreiben. ÖVP-Sympathisanten steckten in einem Zwiespalt aus "Gutes bewahren, manches verändern" (ein Wahlslogan aus den 1990ern), geforderter "Entfesselung" (Michael Spindelegger) und beklagter "Versandelung" (Christoph Leitl). Auf Basis welcher inhaltlichen Klammer soll aber ein Stimmenplus lukriert werden, wenn sich selbst eine arg geschrumpfte Wählerschaft heterogen präsentiert?

Sozialstrukturell und soziodemografisch zeigt sich die ÖVP-Anhängerschaft pluralistischer als jene der anderen etablierten Parteien; sie bewegt sich am Rande der Fragmentierung. Ein Teil der Österreicher bekommt Marktbewegungen mit Blick auf berufliche Aussichten und erzielte Einkünfte eins zu eins, ein anderer gedämpft oder in homöopathischen Dosen zu spüren.

Beamte, Landwirte, Pensionisten - ungefähr die Hälfte der ÖVP-Wählerschaft ist der zweiten Gruppe zurechenbar. Die Kreativleistenden am freien Markt wandern ob des permanenten schwarzen Interessenspagats zu den Neos ab; so wie auf Links Teile der Arbeiterklasse, die mit deutlichen Reallohnverlusten zu kämpfen haben, Rot für Blau eintauschten.

Keine Partei ist mehr in der Lage, breite Wählerkoalitionen zu zimmern. Die SPÖ als Kanzlerpartei hat es ebenfalls nachhaltig unter die 30-Prozent-Marke gedrückt. Selbst HC Straches wandelbarer FPÖ gelingt kein Wahlerfolg à la Jörg Haider 1999. Die Bäume der Neos werden trotz soliden Personals nicht in den Himmel wachsen. Viel mehr als die 24 Prozent vom letzten Mal sind für die ÖVP nicht zu erreichen. Eine Programmdiskussion steht im Zeichen von Beschäftigungstherapie und/oder Bewährungsprobe (wie bei Josef Prölls Perspektivengruppe 2007). Jedenfalls verspricht sie einen Kraftakt.

Die ÖVP muss sich auf dem Wege einer Parteireform in erster Linie um interessenpolitischen Kitt bemühen: Formeln für die Findung kleinster innerparteilicher Nenner müssen neue Kanäle für Willensbildung und alternative Rekrutierungsmuster beinhalten. Konsolidierung vor Wachstum - das sollte auch weiterhin die Teilhabe an der Regierungspolitik ermöglichen. Ein Trost - und kein schwacher: Künftig wird man selbst mit 15 oder 20 Prozent zu den "Großen" zählen.

David M. Wineroither lehrt Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.