Ölverschmutzung belastet mehr die Tiefsee als die Küsten. | Schwerste Öl-Katastrophe der USA. | Athens/Hamburg. Es dauert eine Weile, bis Mandy Joye von der University of Georgia in Athens klar wird, was beim Blick aus dem Fenster des Tauchbootes "Alvin" fehlt: "Normalerweise recken Würmer ihre Köpfe aus dem Boden und begrüßen uns", erinnert sich die Meereswissenschafterin an frühere Tauchfahrten zum Boden des Golfs von Mexiko.
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Wenn "Alvin" sich aber jetzt dem Meeresgrund nähert, fehlt die wimmelnde Vielfalt des Lebens. Statt unzähliger Seegurken sieht Joye tote Schlangensterne im Licht der Scheinwerfer. Wo früher das Leben pulste, liegt nun eine Unterwasserwüste. Seit der Explosion der Bohrplattform "Deepwater Horizon" des Ölkonzerns BP am 20. April 2010 verwüstet die Ölpest die Tiefsee. An den Stränden und Schilfgürteln um den Golf von Mexiko sieht man dagegen kaum noch Auswirkungen der Katastrophe, die auf einer Ölplattform rund 66 Kilometer vor der Golfküste der USA begann.
Rohre aus der Tiefe
Angetrieben vom gewaltigen Druck im Gestein in 5500 Meter Meerestiefe, schoss eine Mischung aus Erdgas, Erdöl und Bohrschlamm durch die fertige Bohrung und die Stahlrohre bis zur Bohrplattform und führte dort zu einer gewaltigen Explosion. Versagt hatte ein "Blowout-Preventer". Das ist ein 15 Meter hohes Bauteil, das solche Zwischenfälle verhindern soll. Zwei Tage nach der Explosion verschwand die Bohrplattform in den Wellen. Die Unterwasser-Installationen wurden zerstört. Aus dem Bohrloch in 1500 Meter Tiefe ragten nur noch Reste der Rohre, aus denen an mindestens drei Stellen Öl strömte.
Da so weit unten weder Taucher noch U-Boote eingesetzt werden können, versuchte BP mit ferngesteuerten Tauchbooten die Lecks zu schließen. Erst ein Vierteljahr später war das Bohrloch wieder dicht. Insgesamt waren über 700 Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko geschossen. Zusätzlich blubberte fast eine halbe Million Tonnen Erdgas in großer Tiefe ins Wasser. Im Vergleich mit Unfällen in geringer Tiefe veränderte sich dadurch die Verschmutzung enorm.
Das größte Problem sind normalerweise Ölteppiche, die etwa das Gefieder von Wasservögeln verkleben oder an der Küste in den Untergrund sickern und dort Organismen vergiften. Das geschah im Golf von Mexiko auch. Stephan Lutter von der Naturschutzorganisation WWF in Hamburg erzählt von Fischern im Golf, die ihre sonst gute Erträge versprechenden Austernbänke nicht mehr abernten können, weil die Muscheln abgestorben sind.
Auch auf Delfine scheint die Verschmutzung des Oberflächenwassers Auswirkungen zu haben. Die Weibchen gebären im Februar den Nachwuchs, jedes Jahr werden zwei oder drei Neugeborene tot an die Küste geschwemmt. Im Februar 2011 zählten Naturschützer jedoch 36 tote Delfinbabys. Möglicherweise hat das Öl die Embryonen geschädigt.
Dennoch verlief die Ölverschmutzung an der Oberfläche vergleichsweise glimpflich. Einen möglichen Grund dafür entdeckten US-Wissenschafter vom Woods Hole Meeresforschungsinstitut, als sie im Juni 2010 die Tiefsee mit einem Tauchroboter erkundeten: In 1200 Metern Tiefe fanden sie eine gigantische Ölwolke, die 35 Kilometer lang, zwei Kilometer breit und 200 Meter hoch war. Offenbar wurde ein großer Teil des Öls in der Tiefe mit den Strömungen verteilt.
Gift am Meeresgrund
Ein anderer Teil rieselt als Blizzard aus schwarzen Schneeflocken auf den Grund des Golfs und bildet dort eine lockere Masse, die ein wenig an Mousse au Chocolat erinnert, aber für viele Organismen giftig ist. Noch 130 Kilometern vom Bohrloch entfernt finden die Forscher diese Masse, in der tote Würmer stecken, die früher im Meeresgrund lebten.
Weil nur Stichproben vom Meeresgrund gesammelt werden, die erst Monate später ausgewertet sind, dürfte es lange dauern, bis die Auswirkungen der Ölpest eingeschätzt werden können. Teilergebnisse liegen aber vor: So beobachtete Charles Fisher von der Pennsylvania State University mit einem ferngesteuerten Tauchboot Tiefseekorallen, die von einer öligen Schicht bedeckt waren und offensichtlich nicht mehr lebten. Und dann gibt es noch diese dunkel gefärbten oder sogar schwarzen Quallen, die inzwischen immer wieder auftauchen. Normalerweise sind Quallen im Golf von Mexiko - wie überall sonst - durchscheinend oder rosa.