Die Macht des Wiener Wirtschaftsbunds umfasst die ÖVP, die Wirtschaftskammer und reicht bis in die Stadt Wien.
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Wien. Man könnte es ÖVP-Chef Manfred Juraczka nicht vorwerfen, wenn er schon längst aufgegeben hätte. Zu groß ist der Schatten des rot-blauen Duells im Wahlkampf, um als Wiener Kleinpartei wie die ÖVP eine Chance auf Themenführerschaft zu haben. Auch die wirtschaftsliberalen Neos, die erstmals bei der Wien-Wahl antreten, wildern in den Umfragen im ÖVP-Revier. Und dann ist da noch die Unbekanntheit von Juraczka selbst, der, wenn er einmal wahrgenommen wird, auch schon einmal vom Aussehen her mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verwechselt wird. So groß diese Probleme auch sein mögen, mit einem intensiven Wahlkampf versucht er zumindest dagegen anzukämpfen.
Doch es gibt eine Macht, gegen die der ÖVP-Chef keine Chance hat, die ihn fest in den Händen hält und ihm den Weg vorgibt, den er zu gehen hat. Diese Macht, das ist der Wiener Wirtschaftsbund: Interessensvertreter der Wiener Unternehmer mit 10.000 zahlenden Mitgliedern. Mächtiger Player in der Wiener Politik. Absolute Mehrheit in der Wirtschaftskammer. Hauptsponsor der Partei.
Selten sind einem Parteichef die Grenzen seines eigenen Handelns schonungsloser aufgezeigt worden als bei der Listenerstellung der ÖVP für die Wahl am 11. Oktober. Noch bevor die Liste der Kandidaten fertig war, ließ der Wirtschaftsbund - erstmals sogar öffentlich - dem Parteichef ausrichten, welche seiner Kandidaten auf sicheren Plätzen für den Gemeinderat beziehungsweise den Landtag zu reihen sind. Darunter Wirtschaftsbund-Direktor Alexander Biach, Wirtschaftsbund-Landesobfrau Petra Gregorits und Café-Landtmann-Chef sowie Obmann der Fachgruppe Kaffeehäuser in der Wiener Wirtschaftskammer, Berndt Querfeld. Wenig überraschend, wurde der Wunsch des Wirtschaftsbunds erfüllt.
"Entweder du bist für unsoder du bist gegen uns"
Bestimmt hat die mächtige Landesorganisation aber nicht nur, wer auf die Liste kommt, sondern auch, wer nicht mehr auf sicheren Plätzen positioniert wird. Da half es auch nichts, wenn man wie Isabella Leeb engagierte Oppositionspolitik im Bildungsbereich betrieb und eines der wenigen Aushängeschilder der Partei war. Zum Verhängnis wurde der Bildungspolitikerin die Unterstützung für Robert Bodenstein bei der Wahl zum Wirtschaftskammer-Präsidenten. Bodenstein verlor das Duell gegen seinen Wirtschaftsbund-Kollegen Walter Ruck. Für die Bildungspolitikerin war dies der Anfang vom Ende ihrer Karriere in der ÖVP. "Sie hat auf den Falschen gesetzt", sagen Insider. "Ein Fehler. Denn im Wirtschaftsbund gibt es nur eine Devise. Entweder du bist für uns oder gegen uns." Leeb war für Bodenstein und daher gegen Ruck, der den internen Machtkampf gewann, Wiener Kammerpräsident wurde und nun das entscheidende Wort in der Wiener ÖVP mitredet. Auf der ÖVP-Liste für die Wien-Wahl wurde sie nicht mehr berücksichtigt.
Eine Machtdemonstration lieferte der Wirtschaftsbund auch gegenüber den anderen ÖVP-Bünden, dem Seniorenbund und dem Bauernbund ab. So musste die langgediente Gemeinderätin und Seniorenbündlerin Ingrid Korosec ihren sicheren Platz räumen. Sie könnte den Einzug in den Gemeinderat aber noch mit einem Vorzugsstimmen-Wahlkampf schaffen. Auch der Kandidat des Bauernbundes, Norbert Walter, bekam keinen sicheren Listenplatz.
Platz machen mussten die abgesetzten Politiker aber nicht für gleichrangige Kaliber, die eine starke Stimme in der Partei haben, sondern für unbekannte, junge Kandidaten der Jungen ÖVP. Bei der Auswahl ließ der Wirtschaftsbund dem ÖVP-Chef Juraczka freie Hand. Elisabeth Olischar, Caroline Hungerländer oder Viktoria Bernt heißen die Nachfolger, die alle unter 30 sind und im Gegensatz zu den drei Wirtschaftsbündlern keinen nennenswerten Einfluss im Landesparteivorstand haben. Der Wirtschaftsbund hat seine Macht innerhalb der Partei damit abgesichert.
Seine Macht absichern, das zählt zu den Kernkompetenzen des Wirtschaftsbundes. In der eigenen Partei und in der Wirtschaftskammer. Seit ihrem Bestehen wird die Kammer vom Wirtschaftsbund regiert. Mit komfortablen Mehrheiten in allen neun Bundesländern und somit auch im Bund, wo man auf eine Zweidrittelmehrheit zurückgreifen kann. Mit einem Koalitionspartner musste man sich nie arrangieren. Ihrer Macht sind sich die Funktionäre bewusst. Laut war das schallende Gelächter der anwesenden Wirtschaftsbündler, als der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Wien-Besuch im Juni 2014 die Kammer-Präsidentschaft von Österreichs Wirtschaftsbund-Obmann Christoph Leitl als "gute Diktatur" bezeichnete.
Einer Wahl muss sich der Wirtschaftsbund zwar regelmäßig stellen. Doch wenn Stimmen für die Mehrheit in der Kammer fehlen, dann werden sie von den anderen Fraktionen organisiert. So wie zuletzt bei den Wiener Kammer-Wahlen im Februar 2015. Der Wirtschaftsbund gewann zwar 36,7 Prozent der Stimmen. Wie durch Zauberhand wurden daraus jedoch 50,6 Prozent. Die fehlenden 13,9 Prozent holte man sich einerseits vom Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RFW), der dem Wirtschaftsbund einen Teil seiner blauen Stimmen zurechnete und andererseits vom Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV). Die Blauen stehen zu ihrer Stimmabgabe an die Schwarzen. Für den RFW-Landesgeschäftsführer Günter Rittinger war es ein guter Deal, da man im Ausgleich "Kooperationen mit dem Wirtschaftsbund geschlossen" habe, wie er dem "Wirtschaftsblatt" mitteilte. Die Rückendeckung der ÖVP-Landesorganisation war den Blauen anscheinend mehr wert als die Stimmen der eigenen Wähler.
Stimmenschieberei "im Sinne der guten Zusammenarbeit"
Bei den Roten war der Vorgang hingegen undurchsichtiger. Laut eigenen Angaben vergaß man, vor der Wahl die nötigen Unterstützungserklärungen für sechs stimmenträchtige Fachgruppen (7000 Wahlberechtigte) abzugeben. Um mit den sechs Fachgruppen überhaupt bei der Wahl kandidieren zu dürfen, schrieb man diese auf die Liste des Wirtschaftsbunds dazu. Damit wurden rote Stimmen zu schwarzen Stimmen. Die guten Chancen auf einen roten Obmann in einer der Fachgruppen waren ebenso dahin. Als Dank färbte der Wirtschaftsbund nach der Wahl je ein schwarzes Mandat pro vergessene Fachgruppe in ein rotes um. Diese sechs Roten stellten dann in den jeweiligen Fachgruppen den Obmann-Stellvertreter. Die Obmänner stellte aber der Wirtschaftsbund.
Angesprochen auf die Stimmenschieberei, hieß es vom Wirtschaftsbund: Es komme "im Sinne der guten Zusammenarbeit" in Fachgruppen immer wieder vor, dass sich auch Kandidaten anderer Fraktionen diesen Listen anschließen.
Ebenso fragwürdig war bei den Kammer-Wahlen ein Tweet von Wirtschaftsbund-Berater Rudi Fussi, der bereits am Vorabend der Auszählung twitterte, dass der Wirtschaftsbund gewonnen habe. Kammer-Präsident Leitl freute sich jedenfalls über eine absolute Mehrheit des Wirtschaftsbunds in Wien, durch die ein bundesweites Ergebnis von 66,6 Prozent, also auf die Kommastelle genau die Zweidrittelmehrheit, gehalten werden konnte.
Der Einfluss des ÖVP-Wirtschaftsflügels zeigt sich auch in der Stadtpolitik. Etwa 126.000 Wiener Unternehmen vertritt die vom Wirtschaftsbund geführte Wirtschaftskammer. Die rot-grüne Stadtregierung ist aufgrund dieser Machtfülle darauf angewiesen, in vielen Bereichen zu kooperieren. Die Wirtschaftskammer sitzt in wichtigen Gremien der Stadt. In manchen besitzt sie sogar ein Vetorecht. So wie etwa in der Wirtschaftsagentur, die für die Vergabe von Wirtschaftsförderungen zuständig ist. Auch bei der Streichung von Parkplätzen, Gebührenerhöhungen oder bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit kommt die Stadtregierung nicht an der Kammer vorbei. In knapp 90 Körperschaften reden die Unternehmensvertreter mit. Darunter etwa AMS, Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, Gesundheitspolitische Kommission des Gemeinderats, Schlichtungsstelle für Vergabeangelegenheiten, Schulausschüsse der Berufsschulen, Arbeitnehmerförderungsfonds (WAFF) und Wiener Stadtwerke und Wohnfonds.
Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) pflegte von Anfang an ein gutes Verhältnis zur Kammer und somit auch zur ÖVP-Landesorganisation. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er verstand, dass es sich ein Wiener Bürgermeister nicht leisten konnte, gegen die Wirtschaftstreibenden zu agieren. Sie sind schließlich für den größten Teil der Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in der Stadt verantwortlich. Mit dem Kammer-Präsidenten und Wirtschaftsbund-Chef Walter Nettig (1992-2005) verband ihn darüber hinaus eine tief gehende Freundschaft. Man sprach von der Achse Häupl-Nettig bzw. von der SPÖ-Wirtschaftskammer-Koalition. Es war für Häupl selbstverständlich, dass er die medienwirksame und symbolträchtige jährliche Saisoneröffnung auf der Alten Donau nicht mit seinem damaligen ÖVP-Koalitionspartner, sondern mit dem Kammer-Chef beging.
Nachdem das Verhältnis während der Kammer- und Wirtschaftsbund-Präsidentschaft von Brigitte Jank (2005-2014) merklich abkühlte - so wurde etwa die Saison zwar nach wie vor gemeinsam an der Alten Donau eröffnet, Jank setzte sich aber nicht zu Häupl ins Boot - scheint die Achse Bürgermeister/Kammer-Präsident nach der Übernahme von Wirtschaftsbündler Walter Ruck (seit 2014) wieder aufzuleben. Gleich nach seiner Wahl gab Ruck die Richtung vor und erteilte der distanzierten Haltung der Kammer unter Jank eine Absage: "Ich verstehe die Stadt als Partner der Wirtschaft und freue mich auf die Belebung einer traditionell guten Zusammenarbeit mit dem Wiener Bürgermeister." Mit Ruck setzt die Beziehung zwischen SPÖ und Wirtschaftskammer dort fort, wo sie mit dem Abtreten von Walter Nettig stehen geblieben ist. Enge Bande. Persönliche Sympathie zwischen Stadt-Chef und Kammer- bzw. Wirtschaftsbund-Chef. Gemeinsame Bootsfahrt auf der Alten Donau.
"Ruck und Häupl verstehen sich prächtig", sagen Beobachter. Persönlich sind sie sich sehr ähnlich. Wie Häupl kann sich Ruck sowohl hemdsärmelig geben als auch die feine Klinge führen. Seine Hausmacht ist die Sparte Gewerbe und Handwerk, die als konservative Machtzentrale des Wirtschaftsbundes gilt. Die Sparte hat die meisten Fachgruppen und bringt der Organisation die meisten Stimmen. Ruck steht somit für die starke und traditionsbewusste Kernklientel des ÖVP-Wirtschaftsflügels. So wie der Kammer-Chef sind sie Bauunternehmer, Cafetiers oder Manager eines Konzerns mit mehreren Mitarbeitern. Mit der jungen aufstrebenden Start-up-Szene, die zumeist aus Einzelunternehmern (EPU) besteht, haben sie wenig gemein. Überlebenssorgen, wie sie für viele EPU alltäglich sind, kennen sie nicht. Ihr Credo lautet: Weniger Bürokratie, Reduzierung von Unternehmersteuern und Vorantreiben von Großprojekten.
Wirtschaftsbund über ÖVP-Chef Juraczka verärgert
Dieses Credo wollte der Wirtschaftsbund nun auch in der Wiener ÖVP verankern. Damit sollte der historische Tiefstand - in Umfragen liegt die Partei derzeit bei neun Prozent - überwunden werden. Für den Wahlkampf wurde von den Wirtschaftstreibenden ein Konzept ausgearbeitet. Es sieht vor, dass mit der Sonntagsöffnung für Tourismuszonen, dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn nach Wien, der Abschaffung von Bagatellsteuern oder der Lohnnebenkostenbefreiung für den ersten Mitarbeiter, um nur einige Vorschläge zu nennen, 25.000 Jobs geschaffen werden könnten. Das Konzept wurde an Manfred Juraczka und Co. weitergereicht mit der Devise, die Inhalte im Wahlkampf in den Mittelpunkt zu stellen. Der ÖVP-Chef präsentierte zwar das Konzept, wandte sich aber bald anderen Themen zu.
Für den Wirtschaftsbund ein inakzeptables Verhalten. Man hätte sich gewünscht, dass Juraczka jedes einzelne Thema diskutiert. Dass er das nicht getan hat, darüber ist man verärgert. Für den ÖVP-Chef könnte dieses vermeintliche Fehlverhalten das Ende seiner Amtszeit bedeuten. Unter 12,5 Prozent sollte er nicht kommen, heißt es nun aus Wirtschaftsbund-Kreisen, wissend, dass diese Marke für Juraczka kaum zu schaffen ist.
Die Absetzung des Parteichefs wäre allerdings keine große Sache, sondern vielmehr ein Ritual, das in der ÖVP, mit 17 Obleuten seit 1945, schon Tradition hat. Für den Wirtschaftsbund spielt es schließlich keine große Rolle, wer auf dem Chefsessel in der Partei sitzt. Viel wichtiger ist für den schwarzen Wirtschaftsflügel, dass er im Hintergrund weiterhin die Fäden fest in der Hand halten kann.
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