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Schwarzer Montag erschüttert Indien

Von Wolfgang Tucek

Politik

"Es gibt keinen Grund zu Panik", sagte Pranab Mukherjee. Doch die Worte des Favoriten für das Amt des nächsten Finanzministers kamen zu spät. Der größte Kurssturz in der Geschichte der Börse in Bombay war gestern seiner Ankündigung einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik der künftigen Kongress-Regierung unter Sonia Gandhi vorausgegangen. Die Anleger fürchten vor allem den Einfluss der Kommunisten auf den wirtschaftlichen Reformkurs der Regierung Gandhi, die bereits morgen vereidigt werden könnte.


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Die Börse in Bombay erlebte gestern den größten Crash ihrer 129-jährigen Geschichte: Der Leitindex (Sensex) verlor über 15 Prozent. Der Handel wurde zweimal für insgesamt drei Stunden ausgesetzt. Die Kurse konnten sich bis Börseschluss etwas erholen. Grund für Indiens Schwarzen Montag war die Verunsicherung der Investoren über den Wirtschaftskurs der neuen Regierung unter Sonia Gandhi, die sich Mangels eigener Mehrheit ihrer Kongress-Partei und deren Verbündeten im Parlament auf die Stimmen der Kommunisten angewiesen ist. Diese haben ihre Unterstützung zugesagt, wollen aber keiner Koalition angehören.

Der einflussreiche Kongress-Politiker Mukherjee vesuchte angesichts der Kurseinbrüche zu beruhigen: Seine Partei strebe eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik an, versprach er. Durch schnelle Produktionssteigerungen in Industrie und Landwirtschaft werde man eine Wachstumsrate der indischen Wirtschaft von acht bis zehn Prozent pro Jahr erreichen. Auch Mukherjees innerparteilicher Rivale um das Finanzministeramt, Manmohan Singh, beschwichtigte. Die Kongress-Partei werde an ausgewählten Privatisierungen festhalten, wenn diese im nationalen Interesse seien, sagte er. Die Investoren beschwor er, die intakten Fundamentaldaten der indischen Wirtschaft nicht aus den Augen zu Verlieren.

Inzwischen kristallisiert sich eine Minderheitsregierung der Kongress-Partei und ihrer 19 Koalitionspartner mit Unterstützung der kommunistischen Parteien heraus. Diese haben gestern eine Teilnahme an der Regierung ausgeschlossen. Um eine Rückkehr der bei den Wahlen letzte Woche überraschend unterlegenen national-konservativen Bharatiy Janata Party (BJP) auszuschließen, sagten sie Gandhi aber ihre Unterstützung von außen zu. Das betrifft die gesamte Linke, erklärte D. Raja der Kommunistischen Partei Indiens (CPI). Gemeinsam mit der drittgrößten Partei des Landes, der Kommunistischen Partei Indiens-Marxisten (CPM/43 Sitze) verfügt das linke Lager über mehr als 60 Abgeordnete. Mit ihnen hat Gandhis Koalition (217) eine klare Abstimmungsmehrheit im 545-köpfigen Parlament.

Regierungsauftrag heute?

Heute soll die Wahlsiegerin bei Präsident Kalam vorsprechen, der sie offiziell mit der Bildung der neuen Regierung Indiens beauftragen soll. Einen Brief mit 320 Unterstützungserklärungen von Abgeordeten wird sie ihm vorlegen, hieß es gestern aus Kongress-Kreisen. Nachdem sich die Kongress-Partei und ihre Verbündeten bereits am Sonntag auf Gandhi als Regierungschefin festgelegt hatten, unterzeichneten gestern offenbar auch die linken Abgeordneten das Schreiben an den Präsidenten. Laut CPI-Vorsitzenden A.B. Bardhan, könnte Gandhis Regierung bereits morgen vereidigt werden.

Unterdessen beschlossen die Abgeordneten der BJP des bisherigen Premiers Atal Behari Vajpayee, die Vereidigungszeremonie Gandhis wegen ihrer ausländischen Herkunft zu boykottieren. Einzig Vajpayee als scheidender Regierungschef wird teilnehmen.

Der Sensex war gestern innerhalb der ersten paar Minuten um 553,29 Punkte unter die psychologisch wichtige 5.000er-Marke gefallen und hat damit den Wert der in Indien notierenden Unternehmen drastisch dezimiert. Nach einer neuerlichen Abwärtsbewegung war von umgerechnet 33 Mrd. Euro Verlust die Rede. Nach einer leichten Erholung schloss der Index bei 4.505,87 Punkten- ein beachtliches Minus von elf Prozent.

Laut Analysten initierte den Einbruch der massive Rückzug von ausländischen Großinvestoren, die im letzten Jahr gut 8 Mrd. Euro am indischen Markt angelegt hatten, und nach Gandhis überraschenden Wahlsieg verunsichert seien.