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Schweden: "Es sind zu viele zu früh gestorben"

Von Alexander Dworzak

Politik

Chefepidemiologe Anders Tegnell gibt sich angesichts von 4500 Toten selbstkritisch über den Sonderweg bei der Bekämpfung der Pandemie.


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Stockholm/Wien. Dass sie ein Patentrezept für die Bekämpfung des Coronavirus besitzen, haben Schwedens Gesundheitsbehörden nie behauptet. Bereits vor knapp einem Monat meinte Chefepidemiologe Anders Tegnell, die Todesrate der mit Covid-19 verstorbenen Personen besorge ihn sehr. Noch selbstkritischer gab sich Tegnell nun: "Es sind zu viele zu früh gestorben", sagte er im Interview mit Sveriges Radio.

4542 Personen sind im 10,2-Millionen-Land bereits mit dem Virus verstorben. In Österreich handelt es sich lediglich um 670 Fälle bei 8,9 Millionen Bürgern. Aber auch Schwedens Nachbarländer Norwegen (237 Tote bei 5,4 Millionen Bürgern) und Finnland (320 Tote bei 5,5 Millionen Einwohnern) haben wesentlich weniger Tote zu beklagen, ebenso das mit Schweden über die Öresundbrücke verbundene Dänemark, wo 580 Tote 5,8 Millionen Einwohnern gegenüberstehen.

Der schwedische Sonderweg bei der Bekämpfung der Pandemie steht angesichts dieser Zahlen unter Druck: das Offenhalten von Kindergärten und Schulen bis zur achten Schulstufe, die offenen Restaurants und erlaubten Menschenansammlungen bis 50 Personen, während andernorts strenge "Lockdowns" verordnet wurden. Doch auch Schweden verschärfte bei Ausbreitung der Pandemie seine Maßnahmen. Anfangs waren gar Veranstaltungen bis 500 Personen gestattet, auch die Skisaison lief erst weiter.

Rückblickend für härtere Maßnahmen

"Wir hätten von Anfang an härtere Maßnahmen ergreifen sollen", gesteht Tegnell nun ein. Würde man mit dem heutigen Wissensstand auf dieselbe Erkrankung stoßen, läge der richtige Weg seiner Ansicht nach zwischen dem schwedischen und dem, den der Rest der Welt eingeschlagen habe.

"Ich glaube, dass es sicherlich Verbesserungspotenzial bei dem gibt, was wir in Schweden gemacht haben, klar. Und es wäre gut gewesen, wenn man exakter gewusst hätte, was man schließen soll, um die Infektionsausbreitung besser zu verhindern", erklärt der Staatsepidemiologe.

Bereits in der vergangenen Woche räumte Tegnell Versäumnisse bei der Testung von Covid-19-Verdachtsfällen ein, die aus Ischgl zurückgekehrt waren. Erst vier Tage, nachdem Island eine Warnung über positiv getestete Heimkehrer nach Österreich gesandt hatte, startete Schweden mit Tests seiner aus Tirol eingetroffenen Staatsbürger.

Analog zu anderen Ländern verlief bisher, dass die Todesopfer in Schweden vor allem Betagte sind. 89 Prozent waren 70 Jahre alt oder älter. Dabei hat Schweden im Kampf gegen das Virus von Anfang an die Devise ausgegeben, die Älteren müssten geschützt werden, indem sich Junge von ihnen absondern. Unter diesen gibt es praktisch keine Todesopfer.

Doch das Coronavirus hat die Probleme im Gesundheitssektor offengelegt. Pflege- und Altersheime verzeichneten knapp die Hälfte aller Todesfälle. Mittlerweile wurde das oftmals schlecht bezahlte Pflegepersonal, über das sich wohl viele angesteckt haben, in die höchste Prioritätsstufe bei der Corona-Testung aufgenommen.

Die Nachbarn trauen Schweden dennoch nicht: Bei den Grenzöffnungen Mitte Juni lassen Dänemark und Norwegen nun Schweden noch außen vor.