Kein Platz in einer Eliteklasse ohne Aufnahmeprüfung. | Auch Privatschulen erhalten staatliche Förderung. | Stockholm. Von 2009 an werden an 20 Gymnasialschulen in Schweden Klassen für hochbegabte Jugendliche eingerichtet, Eliteklassen in gesellschafts- und naturwissenschaftlichen Fächern. Zunächst handelt es sich um einen landesweiten Versuch, weitere private und kommunale Schulen werden folgen.
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"Wir müssen uns vom sozialdemokratischen Gleichheitsdenken in der Schulpolitik verabschieden. Auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler haben ein Recht darauf, sich gemäß ihrem Lerntempo zu entwickeln. Sie müssen nicht sitzen und Däumchen drehen, um auf ihre Klassenkameraden zu warten", meint Jan Björklund, Ausbildungsminister und Meinungsführer in Bildungsfragen innerhalb der bürgerlichen Regierung.
Auswahlklassen und Eliteschulen gab es bisher nur im Bereich von Sport, Tanz und Musik, jedoch nicht in den theoretischen Fächern. In diesen Disziplinen waren sie bisher tabu in Schweden. Da die besonders begabten Jugendlichen sich landesweit um die Aufnahme in die Eliteklassen bewerben müssen, bekommen die jeweiligen Schulen das Recht, Aufnahmeprüfungen durchzuführen. Die Zeugnisnoten allein reichen zur Auswahl nicht aus. Die zentrale Schulbehörde Skolverket betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Gymnasien und Hochschulen. Die begabten Jugendlichen können an den Universitäten Punkte sammeln, die ihnen später im Hochschulstudium angerechnet werden.
"Wir waren zu ängstlich"
Metta Fjelkner, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft Lärarnas Riksförbund, steht der neuen Elitenförderung positiv gegenüber: "Ich denke, wir waren in Schweden zu ängstlich, Jugendliche mit besonderen Begabungen in den theoretischen Fächern zu ermutigen. Auch sie brauchen Stimulanz und Motivation."
Schulen in Konkurrenz
In Schweden haben die freie elterliche Schulwahl, die Dezentralisierung und die deutliche Zunahme privater Schulen in den letzten Jahren die Entwicklung zu größerer Vielfalt bewirkt. Die Schulen konkurrieren miteinander, Schüler sind Kunden, für die die Gemeinde einen festen Geldbetrag zahlt. Die Förderung mit staatlichen Mitteln gilt auch für die Privatschulen. Das lockt mitunter Unternehmen an, die gleich mehrere Schulen managen. Neulich kaufte sich eine dänische Firma in Schweden ein. Dass man mit Schulen Geld verdienen kann, ist für viele Schweden ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke.
Das Prinzip Förderung statt Auslese funktioniert zunehmend weniger. In verschiedenen Bereichen hat die Segregation zugenommen. Neben der sozialen gibt es zunehmend auch eine ethnische Differenzierung. In Stockholm existieren neben attraktiven Gymnasialschulen mit ausgewählter Schülerschaft Vorortschulen, die überwiegend Jugendliche ausländischer Herkunft besuchen.
Fast die Hälfte von ihnen erreicht seit Jahren keine ausreichenden Leistungen in den Kernfächern Schwedisch, Mathematik und Englisch. Sie schaffen nicht den Übergang zur Gymnasialschule und somit nicht in eine berufliche Ausbildung. "Wir haben enorme Unterschiede zwischen den Schulen, Stockholm ist eine Stadt der Segregation", meint Lotta Edholm, die in der Hauptstadt verantwortliche Schulpolitikerin der Liberalen.
Nationale Vergleichstests
Zunehmend gewinnen Leistungsorientierung und Zensurengebung an Bedeutung. Die schulpolitischen Pläne der bürgerlichen Vierparteienkoalition, umgesetzt oder angestrebt, zielen auf mehr Disziplin und Ordnung in den Schulen.
Bereits nach der 6. Klasse (bisher Ende Klasse 8) werden Schülerinnen und Schüler zukünftig nach einer siebenstufigen Notenskala bewertet, nationale Vergleichstests in Mathematik und Schwedisch sollen bereits in der 3. Klasse verpflichtend sein. Gestärkt werden sollen auch Ansehen und Kompetenz der Lehrer. Damit will sich die liberal-konservative Regierung von der flumskola verabschieden, einer Schule der Gleichmacherei und Kuschelpädagogik.
Die neueren Entwicklungen im schwedischen Schul- und Bildungssystem sollten in der deutschen Wahrnehmung zum Abschied von einem lange idealisierten und gepflegten Schwedenbild führen.
Dr. Gerhard Austrup ist Pädagoge und als Fachberater für Deutsch in Schweden tätig.