Zum Hauptinhalt springen

Schweden setzt auf Solidarität

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv
Bolinder referierte am Mittwoch in Wien. Foto: HBF/Pusch

Interview mit dem schwedischen Militär-experten Per Bolinder. | Berufsheer aus Effizienzgründen - keine Sparpläne. | "Wiener Zeitung": Im Juli wechselte Schweden nach mehr als hundert Jahren von der Wehrpflicht zur Berufsarmee. Welche Gründe sprachen für diesen Schritt? | Per Bolinder: Ausschlaggebend war eine neue Verteidigungspolitik der bürgerlichen Regierung: Dieser lag der Grundsatz zugrunde, dass es sowohl eine stehende Truppe - rund 6000 Soldaten - als auch eine Reserve-Einheit von rund 9000 Soldaten geben solle, die beide für interne und internationale Aufgaben verwendbar sein sollten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Uns ging es darum, die gleichen Kräfte für sämtliche Aufgaben der Streitkräfte einzusetzen und so Effizienz zu steigern. Deshalb haben wir die Wehrpflicht aufgegeben und ein Berufsheer auf freiwilliger Basis eingeführt.

Österreich will künftig den Schwerpunkt bei internationalen Einsätzen setzen, wo liegen die politischen Prioritäten Schwedens?

Beide Bereiche müssen optimal erfüllt werden. Um Schwedens Strategie verstehen zu können, muss man wissen, dass wir unsere Sicherheit in enger Kooperation und gemeinsam mit anderen Staaten gewährleisten. Deshalb unterstützt die Regierung auch internationale Einsätze, sei es gemeinsam mit der EU, im Rahmen der UNO oder mit unseren nordischen Nachbarn.

Welche Rolle spielt dabei die schwedische Neutralität?

Schweden ist kein Mitglied einer militärischen Allianz. Gleichzeitig hat die Regierung einseitig erklärt, dass sie nicht untätig zusehen wird, sollte einer unserer nordischen Nachbarn oder ein Mitglied der EU angegriffen oder Opfer einer nationalen Katastrophe werden. Wir erwarten, dass sowohl unsere Nachbarn wie auch die übrigen EU-Mitglieder die gleiche Position einnehmen, wenn Schweden so etwas zustoßen sollte.

Wurde der Schritt hin zur Berufsarmee im Konsens aller Parteien im Parlament getroffen?

Nein, das wurde von den vier regierenden bürgerlichen Parteien im Alleingang gegen die Stimmen von Sozialdemokraten, Linkspartei und Grünen beschlossen.

Sollte die Linke wieder an die Macht kommen, wäre die Rückkehr zur Wehrpflicht vorstellbar?

Schwer zu sagen, hier traue ich mir keine Prognose zu.

Welche Rolle spielten Sparpläne beim Umstieg? Schweden gab 2009 mit 1,3 Prozent des BIP deutlich mehr als Österreich (0,73 Prozent) für Verteidigung aus. Werden die Ausgaben durch den Umstieg steigen?

Berufsheer oder Wehrpflicht sind für uns kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Natürlich steigen beim Berufsheer die Gehaltskosten, dafür ist es wesentlich effizienter. Im Unterschied zu anderen Ländern haben wir keine Absicht, das Verteidigungsbudget zu kürzen, sondern werden das gegenwärtige Niveau beibehalten. Wir konzentrieren uns auf Effizienzsteigerungen.

In Österreich argumentieren Befürworter der Wehrpflicht auch mit der Rolle des Zivildienstes. Wie löst Schweden dieses Problem?

Auch bei uns gab es einen Zivildienst als Alternative, aber die Zahl derer, die dieses Angebot annahm, ging ständig nach unten. Deshalb beendeten wir den Zivildienst bereits 2008.

Wer übernimmt jetzt diese Aufgaben?

Wir haben auf bezahlter freiwilliger Basis eine Krisen-Management-Agentur, wir haben lokale Feuerwehren und wir haben die 20.000 Mann starke militärische Heimwehr aus unbezahlten Freiwilligen, die in etwa der österreichischen Miliz entspricht. In Summe umfassen unsere operativen Kräfte um die 50.000 Mann, in diesem Punkt unterscheiden wir uns nicht sehr von Österreich. Allerdings darf man nicht vergessen, dass wir zu unseren Landstreitkräften auch noch starke See- und Lufteinheiten haben - inklusive U-Booten und rund 100 modernen Kampfjets.

Per Bolinder ist militärischer Berater des Verteidigungsausschusses des schwedischen Reichstags.