Dass das skandinavische Land Innovationskaiser ist, liegt an den Eigenschaften der Bevölkerung und an stabiler Finanzierung.
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Schweden ist in den vergangenen zwei Jahren vor allem für seinen Sonderweg im Corona-Management berühmt geworden. Der Verzicht auf Lockdowns und Masken sorgte für heiße Diskussionen, aber vieles deutet darauf hin, dass das nordische Land zumindest nicht alles falsch gemacht hat. Und nicht nur bei Corona, sondern auch bei Forschung, Innovation und Technologieentwicklung geht Schweden eigene Wege - mit Erfolg.
2020 erreichte es mit Forschungsausgaben von 3,53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts den höchsten Anteil der europäischen Länder im OECD-Vergleich. Weltweit liegt es hier an vierter Stelle nach Israel, Südkorea und Taiwan. Laut Eurobarometer-Umfrage ist Schweden, anders als unser eigenes Heimatland, nicht wissenschaftsskeptisch, sondern man findet, dass Wissenschaft und Forschung für die Zukunft unentbehrlich sind.
Im Global Innovation Index, der 131 führende Länder nach ihrer Innovationsfähigkeit reiht, hält das skandinavische Land seit Jahren Rang 2 nach dem Spitzenreiter Schweiz und vor den USA auf Platz 3. Zum Vergleich: Österreich gibt mit 3,2 Prozent seines BIP fast ebenso so viel Geld für den Forschungssektor aus, reiht jedoch bei der zukunftsweisenden Innovationsfähigkeit an 18. Stelle.
Die "Wiener Zeitung" hat das schwedische Forschungs- und Innovationssystem auf Einladung des Rats für Forschung und Technologieentwicklung unter die Lupe genommen. Diese Punkte sind besonders bemerkenswert: eine Mischung von Vertrauen in das System und Autonomie bei der Umsetzung größerer Strategien. Eine hohe Bereitschaft zur Zusammenarbeit und flache Hierarchien. Möglichst gleiche Chancen in der Bildung bei möglichst hoher Qualität. Aufgeschlossenheit gegenüber Technik und Veränderung. Laufende Qualitätsbeobachtung - und nicht zuletzt eine starke, forschungsintensive Industrie. Lesen Sie die Essenz eines Lokalaugenscheins, die mit schwedischer Bescheidenheit beginnt.
Zusammenarbeit
"Warum sind wir ein erfolgreiches Land? Schwer zu sagen - wir wissen es eigentlich nicht", sagt Karl Westberg, Leiter des Bereichs Entrepreneurship und Innovation des Wirtschafts- und Innovationsministeriums in Stockholm, mit einem Lächeln beim Besuch. Freilich würden reichliche Ressourcen - von Mineralien, wie Eisen, Zink oder Nickel, über große Wasserreserven bis hin zu Land- und Forstwirtschaft und Fischerei - beste Voraussetzungen bieten. "Aber es ist Haupteigenschaft der Menschen hier, dass wir zusammenarbeiten", erklärt Westberg. "Fast alles, was wir ins Leben rufen, entspringt Kollaborationen." Zwar räumt er aus Erfahrung ein, dass bei vielen Beteiligten Entscheidungsprozesse bürokratisch und langsam verlaufen können. "Aber wenn ein Konsens erreicht ist, ziehen alle am gleichen Strang und dann geht die Umsetzung schnell. Die Entscheidung ist nachhaltig, das System resilient, es überdauert die nächsten Wahlen. Angesichts der Langfristigkeit von Forschungsvorhaben ist das nicht unwesentlich."
Etwa will Schweden seinen Klimagasausstoß bis 2045 auf null senken und zur ersten nachhaltigen Wohlfahrtsgesellschaft werden. Die Regierung hat sich verpflichtet, alle vier Jahre einen Aktionsplan zu erarbeiten, der aufzeigt, wie diese Ziele erreicht werden, und Roadmaps mit 22 Branchen verhandelt. Parallel laufen strategische Innovationsprogramme zu gesellschaftlichen Herausforderungen, wie Mobilität, Digitalisierung, Klimagerechtigkeit, Gesundheit oder Gleichstellung von Geschlechtern und Bildung, über zwölf Jahre. Sie werden von Innovationsagenturen nicht nur gefördert, sondern maßgeblich gestaltet. "Die Rolle der Ministerien ist klein, wie haben hier 120 Mitarbeiter. Alle vier Jahren gibt es einen neuen Budgetrahmen für Wissenschaft, Forschung und Technologieentwicklung. Die Universitäten und Förderbehörden sind, was Inhalte und Mittelvergabe betrifft, autonom", erläutert Innovationsexperte Erik Åstedt vom Wirtschaftsministerium.
Gut gefüllter Konferenzraum bei der Agentur Vinnova im Zentrum von Stockholm. Vor der Gruppe steht Lisa Almesjö, Leiterin der Innovationsabteilung des Fördergebers. Vinnova wurde 2001 gegründet, der Name leitet sich aus den schwedischen Begriffen für Gewinn und Innovation ab. Die Behörde untersteht dem Ministerium für Innovation, vergibt in erster Linie Fördergelder und genießt darüber hinaus hohen Stellenwert, weil sie zwischen Unis, Politik und Industrie tätig ist. Vinnova verfügte 2020 über ein Jahresbudget von umgerechnet 370 Millionen Euro. Das ist weitaus weniger als ihr österreichsches Pendant, die Forschungsförderungsgesellschaft FFG für angewandte Forschung. Doch anders als diese formuliert Vinnova selbst große gesellschaftliche Ziele, denen Innovation dienen sollen. "Innovationen sind nur dann sinnvoll, wenn der Bedarf gegeben ist, daher erarbeiten wir diese Ziele gemeinsam mit der Bevölkerung. Es ist ein bisschen, als würde man ein Orchester dirigieren", erzählt Hörsted.
Zu orchestrieren kann Geduld erfordern. "Die OECD kritisiert, dass unsere Ziele vage gefasst seien", räumt Åstedt ein. "Kooperation kann ein komplexes Work in Progress sein, weil man Kontrolle abgeben muss, aber wenn viele Akteure gemeinsam Lösungen identifizieren und implementieren, erzeugt das gegenseitiges Vertrauen und ein aufgeschlossenes, kollaboratives Ökosystem, das das Wissen aller nutzt."
Schweden pflegt ein anderes Verhältnis zu Staat und Behörden als Österreich, das mitunter Protestbereitschaft beweist. "In Schweden macht man, was der Staat empfiehlt, denn warum soll er unrecht haben?", bringt Sylvia Schwaag Serger, Professorin für Forschungspolitik der Universität Lund, eine grundlegende Vertrauenshaltung auf den Punkt, die als "nationale Charaktereigenschaft" bezeichnet werden könne. Sie habe auch dazu geführt, dass man sich an bloße Empfehlungen der Regierung zum Verhalten in der Pandemie gehalten habe, wie Abstandhalten, im Homeoffice bleiben und keine Partys besuchen.
Vertrauen in den Staat
"Hierarchien sind flach. Es ist extrem wichtig, innerhalb einer Organisation Entscheidungen gemeinsam zu fällen und die Verantwortung gemeinsam zu tragen", führt die aus Deutschland geborene Expertin aus. "Wenn etwas gut geht, bekommen alle Lorbeeren. Und wenn etwas schlecht läuft, ist nicht bloß eine Person alleine schuld. Das ist ein hohes soziales Kapital."
Um den sozialen Schatz der Gleichgestelltheit geht es im Bildungs- und Hochschulsystem. Schweden hat, ähnlich wie Österreich, ein Problem mangelnder Durchlässigkeit. Damit mehr Kinder aus bildungsfernen Schichten einen möglichst hohen Abschluss erzielen können, müssen sie erst am Ende der Gesamtschule mit 14 Jahren entscheiden, wie es weitergeht. Die knapp 50 Hochschulen teilten sich 2020 mit 12,3 Milliarden Euro das gleiche Budget wie jene in Österreich, zählen jedoch mehr Absolventen. "Es geht um einen möglichst hohen Standard für alle", sagt Schwaag Serger.
Obwohl Freiheit und Autonomie so großgeschrieben werden, kann kaum von Laissez-faire die Rede sein. Die Swedish Higher Edication Authority prüft, ob eine Uni in der Lage ist, Ziele zu erreichen, und publiziert die Ergebnisse ebenfalls als "Empfehlungen". So untersucht sie auf Herz und Nieren, ob Uni-Lehrende, Forschende und Studierende mit dem digitalen Studium während Pandemie zufrieden sind. Laut dem Bericht nur teilweise: Selbst die Schweden, die die Digitalisierung als Chance nicht als Gefahr sehen, finden, dass der persönliche Kontakt unabkömmlich ist. "Zugleich wird an den kleinsten Schrauben gedreht, wenn wir im Global Innovation Index zurückfallen", sagt Mikolaj Norekt, Innovationsexperte der Außenwirtschaft Österreich in Stockholm.
Alle Bemühungen hätten freilich weniger Nachdruck ohne forschungsintensive Unternehmen, die eine enorme Anzahl an Arbeitsplätzen bieten. Allein die Wallenberg-Gruppe ist an Unternehmen wie ABB, Astra Zeneca, Electrolux, Ericsson, Saab oder oder SAS Scandinavian Airlines beteiligt. Über eine Stiftung fördert die einflussreiche Familiendynastie Grundlagenforschung in Medizin, Naturwissenschaften und Technologie. "Zahlreiche junge Menschen studieren Maschinenbau oder Ingenieurswesen wegen des riesigen Arbeitsmarkts im Land. Ein interessantes Problem für die Zahl der Absolventen ist, dass viele ihr Studium nicht beenden, weil sie früh von Firmen engagiert werden", beschreibt Schwag Serger eine überraschende Auswirkung. So viel Perspektive vermittelt durchaus die Selbstsicherheit, dass der schwedische Sonderweg etwas ist, in das man sein Vertrauen legen kann.