Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Sie schreien "Sieg Heil". Sie verprügeln Ausländer, verbreiten nationalsozialistische Propaganda und trampeln in Springerstiefeln durch die Straßen. In Schweden zeigt die Regierungsorganisation Exit änderungswilligen Neo-Nazis in einer Art sozialer Therapie einen Weg aus ihrer Vergangenheit. Vom Stockholmer Kulturministerium gegründet, konnte Exit bisher rund 80 Neonazis "beim Entzug" helfen. Sie schafften es, sich von ihren alten Kameraden und Gruppen zu trennen. Wie schwierig dies oft ist, wissen die Mitarbeiter von Exit aus eigener Erfahrung: Sie alle sind Ehemalige.
Da alle Mitarbeiter einmal Neo-Nazis waren, würden die Jugendlichen von Exit ganz anders behandelt als in anderen Organisationen. "Wir waren alle in der gleichen Situation, Sie brauchen uns nichts zu erklären und müssen keine Angst vor Vorurteilen haben", heißt es in einer Broschüre der Organisation. Der 36-jährige Exit-Chef Kent Lindahl, Vater von zwei Kindern, war selbst früher Neo-Nazi. Er erinnert sich an seinen eigenen zähen Abnabelungsprozess: "Sie halten einen für einen Verräter." Viele würden gejagt, einigen die Wohnung auf den Kopf gestellt. Ein neues Leben ohne die alten Freunde sei sehr schwierig. Auch die Gesellschaft verstoße sie häufig, auch wenn sie bereit seien, sich zu ändern. Viele alte Neo-Nazis seien vorbestraft und hätten Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden. Exit helfe ihnen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sagt Lindahl.
In einer Art fünfstufiger Sozialtherapie werden die lernwilligen Neo-Nazis zunächst aufgefordert, sich Gedanken über sich selbst und ihre Ansichten zu machen. In dieser ersten Phasen werden ihnen dann schon Alternativen gezeigt. "Wenn sie dann weitermachen wollen, wird für jeden ein individuelles Programm aufgestellt", sagt Lindahl.
Dann, in der "Abnabelungsphase", müsse alles sehr schnell gehen. Seine Organisation besteht darauf, dass die Neo-Nazis rigoros jeden Kontakt zu alten Kameraden abrechen. Älteren "etablierten" Neo-Nazis würde notfalls dabei geholfen, in eine andere Stadt zu ziehen. Anschließend würden sie psychotherapeutisch begleitet und mit anderen Denkweisen konfrontiert. Schließlich würden sie aufgefordert, über sich und ihre Vergangenheit nachzudenken.
Nach Angaben Lindahls gibt es in Schweden 800 aktive Neo-Nazis, die von mehreren tausend Gesinnungsgenossen unterstützt würden. Einige seien erst 14, wenn sie Mitglied einer der Neo-Nazi-Gruppen beiträten. Diese versuchten oft, Jugendliche zu rekrutieren, die sie mit ihren Parolen beeindrucken und die die Gefahren nicht einschätzen könnten. Viele Jugendliche könnten sich in jungen Jahren nicht vorstellen, später Ärger mit der Polizei zu bekommen oder auf die Fahndungslisten der Geheimdienste zu geraten. Die meisten Neo-Nazis, die Exit betreue, seien junge Männer um die 20 Jahre. Eine Hand voll Frauen sei auch dabei gewesen. Außerdem berate Exit auch die Eltern von Neo-Nazis, die sich ihrer Kinder in der Öffentlichkeit schämten. Gewalttaten von Neo-Nazis können nach Ansicht von Lindahl auf einige Aktivisten auch eine abschreckende und bekehrende Wirkung haben: "Für einige ist die Gewalt ein Weckruf zur Umkehr."